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Die Gründung des
Deutschen Zollvereins
Dargestellt von
Heinrich v. Treitschke
Ein Quellenbuch mit Urkunden, Briefen und sonstigen Aktenstücken zur Geschichte des Deutschen Zollvereins dürfte auf allgemeines Interesse kaum rechnen und müßte bei der Länge der Zeit, über die sich die Verhandlungen hinschleppten, nur ein kümmerlicher Torso sein, der niemand gefiele. Dagegen darf die klassische Darstellung, die Heinrich v. Treitschke in seiner Deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert dieser größten Schöpfung der Friedensregierung Friedrich Wilhelms III. gewidmet hat, selbst den Wert einer Quelle beanspruchen, da sie auf einem umfassenden Studium aller in Betracht kommenden Akten und Briefwechsel beruht, von denen die wenigsten der wissenschaftlichen Forschung bisher durch den Druck zugänglich gemacht sind.
Im folgenden sind die in Betracht kommenden Kapitel der Deutschen Geschichte mit geringen Auslassungen, die vom Leser wohl nirgends als Lücken empfunden werden dürften, mit freundlich gewährter Erlaubnis der Verlagsbuchhandlung zu einer Einheit zusammengefaßt und wirken in dieser Form fast wuchtiger als in der Verstreuung über drei dicke Bände, wie sie der chronologische Aufbau des alle Seiten des deutschen Lebens umspannenden Werkes mit sich bringt. Sie reden eine so eindringliche Sprache von einer jammervollen Vergangenheit deutschen Kleinlebens, daß man nur wünschen kann, daß die Stimme des tapferen Rufers im Streit für nationale Einigung auch weiterhin gehört werde, nachdem ihn selbst schon seit Jahren der kühle Rasen deckt.
Leipzig, 19. Mai 1913.
Horst Kohl.
In dem Sturm und Drang der großen Reformperiode war für die Umgestaltung des alten preußischen Akzisewesens wenig geschehen; man hatte sich begnügt, dem flachen Lande mehrere städtische Steuern aufzulegen und in Altpreußen die Einfuhr fremder Fabrikwaren gegen eine Akzise von 8 1⁄3 Prozent des Wertes zu gestatten. Daneben bestanden in den alten Provinzen noch 67 verschiedene Tarife, nahezu 3000 Warenklassen umfassend; außerdem die kursächsische Generalakzise im Herzogtum Sachsen, das schwedische Zollwesen in Neuvorpommern, in den Rheinlanden endlich seit Aufhebung der napoleonischen Douanen ein schlechterdings anarchischer Zustand. Und diese unerträgliche Belästigung des Verkehrs gewährte doch, da eine geordnete Grenzbewachung noch fehlte, keinen Schutz gegen das Ausland. Auch in dem chaotischen Geldwesen zeigte sich die Abhängigkeit des verarmten Staates von den Fremden: in Posen und Pommern mußten 48, in den Provinzen links von der Elbe 71 fremde Geldsorten amtlich anerkannt und tarifiert werden. Schon längst bemerkte der König mit Besorgnis, wie schwer der gesetzliche Sinn des Volkes durch die Fortdauer des überlebten Prohibitivsystems geschädigt wurde. Seit die bürgerlichen Gewerbe auf dem platten Lande sich ansiedelten, nahm der Schmuggel einen ungeheuren Aufschwung. Im Jahre 1815 versteuerte jeder Materialwarenladen der alten Provinzen täglich nur zwei Pfund Kaffee.
Auch die unhaltbaren Verhältnisse an der Ostgrenze
mahnten zu rascher Tat. Sobald Preußen, Polen und Rußland
Im Jahre 1816 erfolgten die ersten vorbereitenden
Schritte. Das Verbot der Geldausfuhr ward aufgehoben,
das Salzregal in allen Provinzen gleichmäßig eingeführt;
dann sprach die Verordnung vom 11. Juni die Aufhebung
der Wasser-, Binnen- und Provinzialzölle als Grundsatz aus
und verhieß die Einführung eines allgemeinen und einfachen
Grenzzollsystems. Zu Anfang des folgenden Jahres war der
Entwurf für das neue Zollgesetz beendigt. Sobald aber von
den reformatorischen Absichten des Entwurfs Einiges ruchbar
Kunths Gutachten fand im Staatsrate fast ungeteilte
Zustimmung; es ließ sich nicht mehr verkennen, daß die Aufhebung
der Handelsverbote nur die notwendige Ergänzung
der Reformen von 1808 bildete. Als das Plenum des Staatsrats
am 3. Juli über das Zollgesetz beriet, sprachen die politischen
Gegner Gneisenau und Schuckmann einmütig für die
Befreiung des Verkehrs. Oberpräsident Merckel und Geh. Rat
Ferber, ein aus dem sächsischen Dienste herübergekommener
Sein Verfasser war der Generaldirektor Karl Georg
Maaßen
Die beiden ersten Paragraphen des Gesetzes verkündigten
die Freiheit der Ein-, Aus- und Durchfuhr für den
ganzen Umfang des Staates. Damit wurde die volle Hälfte
des nichtösterreichischen Deutschlands zu einem freien Marktgebiete
vereinigt, zu einer wirtschaftlichen Gemeinschaft,
welche, wenn sie die Probe bestand, sich auch über die andere
Hälfte der Nation erweitern konnte. Denn die schroffsten
Gegensätze unseres vielgestaltigen sozialen Lebens lagen
innerhalb der preußischen Grenzen. War es möglich, Posen
und das Rheinland ohne Schädigung ihrer wirtschaftlichen Eigenart
derselben wirtschaftlichen Gesetzgebung zu unterwerfen, so
war schon erwiesen, daß diese Gesetze mit einigen Änderungen
auch für Baden und Hannover genügen mußten. Preußen hatte
sich — so sagte Maaßen oftmals — genau die nämlichen Fragen
vorzulegen wie alle die anderen deutschen Staaten, welche
ernstlich nach Zolleinheit verlangten, und konnte, wegen der
Mannigfaltigkeit seiner wirtschaftlichen Interessen, leichter
als jene die richtige Antwort finden. Aber die Ausführung
des Gedankens, die Verlegung der Zölle an die Grenzen des
Staates war in Preußen schwieriger als in irgendeinem
anderen Reiche; sie erschien zuerst vielen ganz unausführbar.
Man sollte eine Zollinie von 1073 Meilen bewachen,
je eine Grenzmeile auf kaum fünf Geviertmeilen des Staatsgebiets,
und zwar unter den denkbar ungünstigsten Verhältnissen,
da die kleinen deutschen Staaten, die mit dem preußischen
Gebiete im Gemenge lagen, zumeist noch kein geordnetes
Zollwesen besaßen, ja sogar den Schmuggel grundsätzlich begünstigten.
Solche Bedrängnis veranlaßte die preußischen
Finanzmänner zur Aufstellung eines einfachen übersichtlichen
Tarifs, der die Waren in wenige große Klassen einordnete.
Eine umfängliche, verwickelte Zollrolle, wie sie in
England oder Frankreich bestand, erforderte ein zahlreiches
Beamtenpersonal, das in Preußen den Ertrag der Zölle verschlungen
hätte. Durch denselben Grund wurde Maaßen
bewogen, die Erhebung der Zölle nach dem Gewichte der
Waren vorzuschlagen, während in allen anderen Staaten
das von der herrschenden Theorie allein gebilligte System
der Wertzölle galt. Die Abstufung der Zölle nach dem Werte
Auch in der großen Prinzipienfrage der Handelspolitik gab die Rücksicht auf die Finanzen den Ausschlag. Der Staat hatte die Wahl zwischen zwei Wegen. Man konnte entweder nach Englands und Frankreichs Beispiel Prohibitivzölle einführen, um diese sodann als Unterhandlungsmittel gegen die Westmächte zu benutzen und also Zug um Zug durch Differentialzölle zur Erleichterung des Verkehrs zu gelangen; oder man wagte sogleich in Preußen ein System mäßiger Zölle zu gründen, in der Hoffnung, daß die Natur der Dinge die großen Nachbarreiche dereinst in dieselbe Bahn drängen werde. Maaßen fand den Mut, den letzteren Weg zu wählen, vornehmlich, weil der zweifelhafte Ertrag aus hohen Schutzzöllen dem Bedürfnis der Staatskassen nicht genügen konnte. Verboten wurde allein die Einfuhr von Salz und Spielkarten; die Rohstoffe blieben in der Regel abgabenfrei oder einem ganz niedrigen Zolle unterworfen. Von den Manufakturwaren sollte ein mäßiger Schutzzoll erhoben werden, nicht über 10 Prozent, ungefähr der üblichen Schmuggelprämie entsprechend. Die Kolonialwaren dagegen unterlagen einem ergiebigen Finanzzolle, bis zu 20 Prozent, da Preußen an seiner leicht zu bewachenden Seegrenze die Mittel besaß, diese Produkte wirksam zu besteuern.
Dies freieste und reifste staatswirtschaftliche Gesetz des
Zeitraums wich von den herrschenden Vorurteilen so weit
ab, daß man im Auslande anfangs über die gutmütige Schwäche
der preußischen Doktrinäre spottete. Den Staatsmännern
der absoluten Monarchie fällt ein undankbares entsagungsvolles
Los. Wie laut preist England heute seinen William
Huskissonone of the world's great spirits; alle gesitteten
Völker bewundern die Freihandelsreden des großen Britten.
Und doch hat die große Freihandelsbewegung
unseres Jahrhunderts nicht in England,
sondern in Preußen ihren ersten bahnbrechenden
Erfolg errungen. Das wiederhergestellte
französische Königtum hielt in dem Tarife von 1816 die
strengen napoleonischen Prohibitivzölle gegen fremde
Fabrikwaren hartnäckig fest. Die Selbstsucht der Emigranten
fügte noch schwere Zölle auf die Erzeugnisse des Landbaues,
namentlich auf Schlachtvieh und Wolle, hinzu. Auch in England
war nur ein Teil des Handelsstandes für die Lehren
der Verkehrsfreiheit gewonnen. Noch stand der Grundherr
treu zu den hohen Kornzöllen, der Reeder zu Cromwells
Navigationsakte
Den freihändlerischen Ansichten der preußischen Staatsmänner
genügte das neue Gesetz nicht völlig. Man ahnte
Derweil der Staatsrat diese Reform zum Abschluß brachte, erging sich die unreife nationalökonomische Bildung der Zeit in widersprechenden Klagen. Die Massen meinten die Verteuerung des Lebensunterhalts nicht ertragen zu können, die Fabrikanten sahen »dem englischen Handelsdespotismus« Tür und Tor geöffnet und bestürmten den Thron abermals mit so verzweifelten Bittschriften, daß der König, obwohl selbst mit Maaßens Plänen ganz einverstanden, doch eine nochmalige Prüfung des schon unterschriebenen Gesetzes befahl. Erst am 1. September 1818 wurde das Zollgesetz veröffentlicht, erst zu Neujahr 1819 traten die neuen Grenzzollämter in Tätigkeit. Am 8. Februar 1819 erschien das ergänzende Gesetz über die Besteuerung des Konsums inländischer Erzeugnisse, wonach nur Wein, Bier, Branntwein und Tabaksblätter einer Steuer unterlagen, die ohne unmittelbare Belästigung der Verzehrer von den Produzenten zu erheben war.
Die neue Gesetzgebung hielt im ganzen sehr glücklich
die Mitte zwischen Handelsfreiheit und Zollschutz. Nur nach
Von jenem Traumbilde einer gesamtdeutschen Handelspolitik,
das während des Wiener Kongresses den preußischen
Bevollmächtigten vorgeschwebt hatte, war man in Berlin
längst zurückgekommen. Die Unmöglichkeit solcher Pläne
ergab sich nicht bloß aus der Nichtigkeit der Bundesverfassung,
sondern auch aus den inneren Verhältnissen der Bundesstaaten.
Hardenberg
Wie die Dinge lagen, mußte Preußen selbständig vorgehen,
ohne jede schonende Rücksicht für die deutschen Nachbarn.
Unter den gemütlichen Leuten herrschte die Ansicht
vor, Preußen solle die Binnengrenzen gegen Deutschland
offen halten und allein an den Grenzen gegen das Ausland
Zölle erheben. Der kindische Vorschlag hätte, ausgeführt,
jede Grenzbewachung unmöglich gemacht, die finanziellen
wie die volkswirtschaftlichen Zwecke der Zollreform völlig
vereitelt. Selbst eine mildere Besteuerung deutscher Produkte
war unausführbar. Gerade die deutschen Kleinstaaten mit
ihren verzwickten, mangelhaft oder gar nicht bewachten
Grenzen mußten der preußischen Staatskasse als die gefährlichsten
Gegner erscheinen. Ursprungszeugnisse, von solchen
Behörden ausgestellt, boten den genauen Rechnern der
Berliner Bureaus keine genügende Sicherheit. Jede Erleichterung,
die an diesen Grenzen eintrat, ermutigte den Unterschleif,
so lange nicht eine geordnete Zollverwaltung in den
kleinen Nachbarstaaten bestand. Noch mehr: gewährte Preußen
den deutschen Staaten Begünstigungen, so griff das Ausland
unfehlbar zu Retorsionen
Es war nicht anders: sollte das neue Zollsystem überhaupt
ins Leben treten, so mußten alle nichtpreußischen Waren
zuvörderst auf gleichem Fuß behandelt werden. Allerdings
wurden dadurch die deutschen Nachbarn sehr hart getroffen.
Sie waren gewohnt, einen schwunghaften Schmuggelhandel
nach Preußen hinüber zu führen; jetzt trat die strenge Grenzbewachung
Indes, wenn es nicht anging, den Kleinstaaten sofort
Begünstigungen zu gewähren, so war doch die Zollreform
von Haus aus darauf berechnet, die deutschen Nachbarn
nach und nach in den preußischen Zollverband hineinzuziehen.
»Die Unmöglichkeit einer Vereinigung für den ganzen
Bund erkennend, suchte Preußen durch Separatverträge sich
diesem Ziele zu nähern« — mit diesen kurzen und erschöpfenden
Worten hat Eichhorn zehn Jahre später den Grundgedanken
der preußischen Handelspolitik bezeichnet. Die
Zerstückelung seines Gebietes zwang den Staat, deutsche
Politik zu treiben, machte ihm auf die Dauer unmöglich, sich
selbst genügsam abzuschließen, seine Verwaltung zu ordnen
ohne Verständigung mit den deutschen Nachbarlanden. Ein
großer Teil der thüringischen Besitzungen Preußens, 41 Geviertmeilen,
mußte vorderhand aus der Zollinie ausgeschlossen
bleiben. Es war eine unabweisbare Notwendigkeit, die Zollschranken
mindestens so weit hinauszuschieben, daß das gesamte
Staatsgebiet gleichmäßig besteuert werden konnte.
In dem Zollgesetz selber (§ 5) war die Absicht erklärt, durch
Handelsverträge den wechselseitigen Verkehr zu befördern.
Die harte Besteuerung der Durchfuhr gab diesem Winke
fühlbaren Nachdruck. Noch bestimmter sprach sich Hardenberg
über die Absicht des Gesetzes aus, schon ehe es in Kraft
trat. Als die Fabrikanten von Rheidt und anderen rheinischen
Plätzen den Staatskanzler um Beseitigung der deutschen
Binnenzölle baten, gab er die Antwort (3. Juni 1818): die
Vorteile, welche aus der Vereinigung mehrerer deutscher
Staaten zu einem gemeinschaftlichen Fabrik- und Handelssystem
Damit wurde deutlich angekündigt, daß der Staat, der
seit langem das Schwert des alten Kaisertums führte, jetzt
auch die handelspolitischen Reformgedanken der Reichspolitik
des sechzehnten Jahrhunderts wieder aufnahm und
bereit war, der Nation nach und nach die Einheit des wirtschaftlichen
Lebens zu schaffen, welche ihr im ganzen Verlaufe
ihrer Geschichte immer gefehlt hatte. Er dachte dies
Ziel, das sich nicht mit einem Sprunge erjagen ließ, schrittweis,
in bedachtsamer Annäherung, durch Verträge von
Staat zu Staat zu erreichen. Mars und Merkur sind die Gestirne,
welche in diesem Jahrhundert der Arbeit das Geschick
der Staaten vornehmlich bestimmen. Das Heerwesen und
die Handelspolitik der Hohenzollern bildeten
fortan die beiden Rechtstitel, auf denen Preußens
Führerstellung in Deutschland ruhte. Und
diese Handelspolitik war ausschließlich das Werk der Krone
und ihres Beamtentums. Sie begegnete, auch als ihre letzten
Ziele sich späterhin völlig enthüllten, regelmäßig dem verblendeten
Widerstande der Nation. Im Zeitalter der Reformation
war die wirtschaftliche Einigung unseres Vaterlandes an
dem Widerstande der Reichsstädte gescheitert; im 19. Jahrhundert
ward sie recht eigentlich gegen den Willen der
Mehrzahl der Deutschen von neuem begonnen und vollendet.
Im Kampfe gegen das preußische Zollgesetz hielten alle
deutschen Parteien zusammen, Kotzebues Wochenblatt so gut
wie Ludens Nemesis. Vergeblich widerlegte J. G. Hoffmann
Quelle: H. v. Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. II, 211 ff. — Die Anmerkungen sind vom Herausgeber beigefügt.
Alles historische Werden entspringt der beständigen Wechselwirkung
zwischen dem bewußten Menschenwillen und
den gegebenen Zuständen. Wie die Vernunft, die in den Dingen
Seit das preußische Zollgesetz in Kraft gesetzt und den kleinen Nachbarn zunächst nur durch seine Härten fühlbar wurde, erhob sich überall mit erneuter Stärke der Ruf nach Aufhebung aller Binnenmauten, und es begann eine leidenschaftliche Agitation für die deutsche Handelseinheit, der Vorläufer und das Vorbild der späteren Kämpfe um die politische Einheit. Die ganze Nation schien einig in einem großen Gedanken; gleichwohl gingen die Ansichten über die Mittel und Wege nach allen Richtungen auseinander, und das einzige, was retten konnte, der Anschluß an die schon vorhandene Einheit des preußischen Marktgebietes, ward in unseliger Verblendung so lange verschmäht, bis schließlich nur die bittere Not das Unvermeidliche erzwang.
Gleich nach dem Frieden begann eine regelmäßige Einwanderung
in das verarmte Preußen einzuströmen, etwa
halb so stark als der Überschuß der Geburten; sie bestand
überwiegend aus jungen Leuten der deutschen Nachbarschaft,
die in dem Lande der sozialen Freiheit ihr Glück suchten.
Als nunmehr die Binnenzölle in der Monarchie hinwegfielen,
da ließen sich die Vorteile, welche der preußische Geschäftsmann
aus seinem ausgedehnten freien Markt zog, zumal an
den Grenzplätzen bald mit Händen greifen: so siedelte ein
Teil der Bingener Weinhändler auf das preußische Ufer der
Nahe über, da die Preise in Preußen oft dreimal höher standen
als auf dem überfüllten hessischen Markte. Das Beamtentum
der kleinen Höfe war noch gewöhnt an das Zunftwesen,
an die Erschwerung der Niederlassung und der Heiraten,
an die tausend Quälereien einer kleinlichen sozialen Gesetzgebung;
von der Überlegenheit der preußischen Handelspolitik
ahnte man hier noch gar nichts. Manchem wohlmeinenden
Beamten in Sachsen und Thüringen erschienen
die preußischen Steuergesetze als eine überflüssige fiskalische
Härte, weil sein eigener Staat für das Heerwesen nur Geringes
leistete, also mit bescheidenen Einnahmen auskommen konnte.
So entstand unter dem Schutze der kleinen Höfe an den preußischen
Binnengrenzen ein Krieg aller gegen alle, ein heilloser
Zustand, von dem wir heute kaum noch eine Vorstellung
haben. Das Volk verwilderte durch das schlechte Handwerk
des Schwärzens. In die zollfreien Packhöfe, welche überall
dem preußischen Gebiete nahe lagen, traten alltäglich handfeste
Als die Urheber solchen Unheils galten allgemein nicht die Kleinstaaten, die den Schmuggel begünstigten, sondern Preußen, das ihn ernsthaft verfolgte; nicht jene Höfe, die an ihren unsauberen fiskalischen Kniffen, ihren veralteten unbrauchbaren Zollordnungen träge festhielten, sondern Preußen, das sein Steuersystem neu gestaltet und gemildert hatte. Unfähig, die Lebensbedingungen eines großen Staates zu verstehen, stellten die kleinen Höfe alles Ernstes die Forderung, Preußen müsse jene reiflich erwogene, in alle Zweige des Gemeinwesens tief einschneidende Reform sofort wieder rückgängig machen, noch bevor sie die Probe der Erfahrung bestanden hatte — und halb Deutschland stimmte dem törichten Ansinnen zu.
Außerhalb der preußischen Beamtenkreise wagten in
diesen ersten Jahren nur zwei namhafte Schriftsteller das
Werk Maaßens unbedingt zu verteidigen. Der unermüdliche
Benzenberg
Auch einer der tüchtigsten Kaufleute Deutschlands, E. W.
Arnoldi in Gotha
Selbst jener hochherzige, geistvolle Agitator, der mit
dem ganzen Ungestüm seiner Tatkraft gegen die Binnenmauten
auftrat, auch Friedrich List, teilte den allgemeinen
Der neue Handelsverein richtete sogleich an den Bundestag eine Bittschrift um Ausführung des Artikels 19, Beseitigung aller Binnenmauten und Erlaß eines deutschen Zollgesetzes, das den Zöllen des Auslandes mit strengen Retorsionen begegnen sollte, bis sich ganz Europa über allgemeine Handelsfreiheit verständigt hätte — denn noch bekannte sich List, gleich den meisten Süddeutschen jener Zeit, im Grundsatz zu den Lehren des Freihandels. In Frankfurt abgewiesen, bestürmte List sodann die Höfe, die Geschäftsmänner und wen nicht sonst mit seinen Gesuchen, geißelte in seiner Zeitschrift dem »Organ des deutschen Handels- und Gewerbestandes«, unermüdlich und unerbittlich die Gebrechen deutscher Handelspolitik. Also hat er in rastloser Arbeit mehr als irgendeiner der Zeitgenossen dazu beigetragen, daß die Überzeugung von der Unhaltbarkeit des Bestehenden tief in die Nation drang. Große verwegene Träume, die erst das lebende Geschlecht in Erfüllung gehen sieht, regten sich in seinem stürmischen Kopfe: er dachte an eine gemeinsame Gewerbegesetzgebung, an ein deutsches Postwesen, an nationale Industrieausstellungen, er hoffte die romantischen Kaiserträume des jungen Geschlechts durch die Arbeit der praktischen nationalen Politik zu verdrängen und sah die Zeit voraus, da eine freie Verfassung, ein deutsches Parlament aus der Handelseinheit hervorgehen würde. Als der Schöpfer des Zollvereins, wie er selber im Übermaß seines Selbstgefühls sich genannt hat, kann List gleichwohl keinem Unbefangenen gelten.
Ein klares Programm, einen bestimmten, durchgebildeten
politischen Gedanken aufzustellen und festzuhalten, lag überhaupt
Nur der Zauber, der an dem Namen Deutschland haftete,
erklärt das Rätsel, daß so viele wackere und einsichtige Männer
noch immer auf eine Handelspolitik des Deutschen Bundes
Trotz solcher Erfahrungen sollten noch viele Jahre vergehen,
bis die Unausführbarkeit der leeren Versprechungen
Unterdessen hatte auch der beste Kopf unter den badischen
Finanzmännern, Nebenius
Die Denkschrift tritt, in den behutsam schonenden Formen,
welche Nebenius liebte, entschieden gegen das preußische
Zollgesetz auf. Sie hebt die Übelstände dieses Systems scharf
heraus, ohne die Lichtseiten zu erwähnen. Sie stellt den Satz
Der staatsmännische Sinn des geistvollen Badeners steht
keineswegs auf gleicher Höhe mit seiner volkswirtschaftlichen
Einsicht. Er hegt wohl Zweifel, ob Österreich dem Zollverein
beitreten könne, zu einem sicheren Schluß gelangt er
dennoch nicht. Noch im Jahre 1835 hat er den Eintritt Österreichs
für möglich gehalten; dann werde der Zollverein »den
schönsten aller Märkte bilden«. Die schwerwiegenden politischen
Gründe, welche einen solchen Gedanken für Preußen
unannehmbar machten, sind ihm niemals klar geworden.
Ebenso wenig will er begreifen, warum Preußen als eine
europäische Macht die Selbständigkeit seiner Zollverwaltung
Neben diesen Irrtümern der Denkschrift steht freilich
eine lange Reihe tief durchdachter, praktisch brauchbarer
Vorschläge, doch ist kein einziger darunter, welchen das
preußische Kabinett nicht schon damals gekannt und angewendet
hätte. Mit großer Klarheit entwickelt Nebenius den
Satz, daß ohne Zollgemeinschaft die Freiheit des Verkehrs
nicht möglich sei. Dieser Gedanke, der uns heute trivial
und selbstverständlich erscheint, war der Diplomatie der Kleinstaaten
jener Zeit völlig neu. Den Berliner Staatsmännern
war er wohlbekannt; denn nur jenen Staaten, die sich dem
preußischen Zollsystem einfügen wollten, hatte Preußen
freien Verkehr angeboten. Ebenso tief durchdacht waren die
Grundzüge des Zolltarifs, welche Nebenius entwarf. Er
will mäßige Finanzzölle namentlich auf die Gegenstände allgemeinen
Gebrauchs, auf die Kolonialwaren legen; die dem
heimischen Gewerbefleiß notwendigen Rohstoffe gibt er frei,
die Fabrikwaren schützt er durch Zölle, die ungefähr der
üblichen Schmuggelprämie entsprechen; feindselige Schritte
des Auslandes sollen mit Repressalien erwidert werden.
Treffliche Gedanken, ohne Frage; aber als Nebenius schrieb,
war bereits der preußische Tarif veröffentlicht, der durchaus
auf denselben Grundsätzen beruhte. Selbständiges Nachdenken
hatte den Süddeutschen genau auf dieselben staatswirtschaftlichen
Ideen geführt, welche Eichhorn oftmals als den Eckstein
des preußischen Systems bezeichnete: »Freiheit, Reziprozität,
Ausschließung der Prohibition.« War es nicht ein seltsames
Zeichen der allgemeinen Unklarheit jener Tage, daß ein so
Nebenius galt in der Diplomatie allgemein als ein bedeutender
Kopf und als ein höchst unbequemer Unterhändler.
Er zählte zu jenen stillen Gelehrtennaturen, die unter schmuckloser
Hülle ein sehr reizbares Selbstgefühl hegen, den Widerspruch
ungern, noch schwerer die Widerlegung ertragen.
Weit entfernt von der lauten Prahlsucht Friedrich Lists, war
er doch mitnichten gesonnen, sein Licht hinter den Scheffel
zu stellen. Er gab wohl zu, kein einzelner Mann könne als
Urheber des Zollvereins gelten. Doch er rühmte sich, seine
Denkschrift habe den Gedanken eines allgemeinen Zollverbandes
zum ersten Male entwickelt, sie habe, bis auf einen
einzigen Irrtum, die Verfassung des späteren Zollvereins
im voraus richtig gezeichnet. Er übersah, daß dieser einzige
Irrtum gerade die Lebensfrage der deutschen Handelspolitik
betraf; er übersah nicht minder, daß der beste Teil seiner
Denkschrift lediglich als Wunsch aussprach, was Preußen
durch die Tat schon vollzogen hatte. Ihm gebührt nur das
große Verdienst, daß er, gleichzeitig mit den preußischen
Staatsmännern und unabhängig von ihnen, für einige wichtige
Eine klare Vorstellung von dem Handelsbunde, der anderthalb Jahrzehnte später ins Leben trat, hegte im Jahre 1819 noch niemand. »Die Idee hatte sich noch gar nicht entwickelt«, pflegte Eichhorn späterhin zu sagen. Der Aufzug des großen Gewebes war bereits ausgespannt. Es bestand das preußische Zollsystem, es bestand der ausgesprochene Wille Preußens, dies System zu erweitern und den deutschen Nachbarn ohne Kleinsinn reichlichen Anteil an den gemeinsamen Zolleinkünften zu gewähren. Noch fehlte der Einschlag. Es fehlte der gute Wille der Nachbarstaaten; es fehlte hüben wie drüben ein deutlicher Begriff von den losen und lockeren bündischen Formen, welche allein einen dauernden Handelsbund zwischen eifersüchtigen souveränen Staaten — dies noch niemals gewagte Unternehmen — ermöglichen konnten. Jenen guten Willen hat nachher die Not gezeitigt. Diese Verfassungsformen des Zollvereins sind nicht von Nebenius, noch von irgendeinem Denker im voraus ersonnen worden, da die Theorie solche Aufgaben niemals lösen kann; sie sind gefunden worden auf den Wegen praktischer Politik, durch Verhandlungen und gegenseitige Zugeständnisse zwischen den deutschen Staaten. Der badische Denker schrieb als ein unverantwortlicher Privatmann, er durfte kühn sofort die Einheit des ganzen Vaterlandes ins Auge fassen. Er hat an diesem Ideale unverbrüchlich festgehalten, und weil er so hohen Flug nahm, verfiel er auf den unmöglichen Plan der Bundeszölle. Preußens Staatsmänner hatten ein köstliches Gut zu hüten: die schwer errungene und noch immer hart bedrohte handelspolitische Einheit ihres Staates. Sie mußten sich von den Schwärmern bald des zaghaften Kleinsinns, bald des selbstzufriedenen Dünkels zeihen lassen, und indem sie bedachtsam auf dem Bestehenden fortbauten, erreichten sie das hohe Ziel. —
Zur rechten Stunde fanden die Urheber des preußischen
Zollgesetzes einen mächtigen diplomatischen Bundesgenossen
an dem neuen Referenten für die deutschen Angelegenheiten,
J. A. F. Eichhorn, den sein Chef Graf Bernstorff auf dem
Als er in seinem vierzigsten Jahre die wichtige Stellung
im Auswärtigen Amte erhielt, da beseelte ihn die Hoffnung,
eine solche Verbindung, wie sie einst unter der Zentralverwaltung
nur zeitweilig, unfertig, unbeliebt bestanden hatte,
auf die Dauer zu begründen, die deutschen Staaten durch die
Bande des Rechts, des Vertrauens, des Interesses für immer
an die Krone Preußen anzuschließen. Dies galt ihm als die
Vollendung, als die Läuterung der Träume von 1813. Er
erkannte in dem Artikel 19 der Bundesakte »die gutgemeinte
Absicht der deutschen Fürsten, daß, unbeschadet ihrer Souveränität,
den deutschen Untertanen die Wohltat eines gemeinsamen
Vaterlandes gewährt werden müsse«, und er traute
seinem Preußen die Kraft zu, die dem Bunde fehlte, diese
Wohltat eines Vaterlandes den Deutschen zu spenden. Neben
der schneidigen Kühnheit, die man oft an den großen Epochen
unserer Geschichte bewundert hat, übersieht man leicht jene
kalte, zähe, ausdauernde Geduld, welche der preußischen
Staatskunst in den endlos langweiligen Händeln deutscher
Kleinstaaterei zur anderen Natur geworden war. Wohl
keiner unserer Staatsmänner hat diese altpreußische Tugend
mit solcher Meisterschaft geübt wie Eichhorn. Da watet der
geistvolle Mann jahraus jahrein durch den zähen Schlamm
armseliger Verhandlungen, die schon beim Durchlesen körperlichen
Ekel erregen. Nichts schwächt ihm die Frische des Geistes;
immer bleibt ihm der Gedanke gegenwärtig, welch großes
Ziel hinter den kleinen Händeln winkt; immer wieder rafft
sich sein gebrechlicher Körper nach schweren Krankheitsanfällen
zu rastloser Tätigkeit auf. Überall hat er seine Augen;
wie der Arzt am Krankenbette überwacht er die Stimmung
der kleinen Höfe, ihre Bosheit, ihre Selbstsucht, ihre ratlose
Torheit. Zuweilen hilft er sich mit einem scharfen Witz über
die Langeweile hinaus. »Was wohl die herzoglich sächsischen
Häuser beabsichtigen? — schreibt er einmal — Ja, wenn sie
Seine Hoffnung war, das preußische Zollsystem durch
Verträge mit den deutschen Nachbarstaaten allmählich zu erweitern.
Für die Formen und Grenzen dieser Erweiterung
hat er nicht im Voraus einen festen Plan entworfen; er stellte
sie, da er die Schwierigkeit des Unternehmens richtig würdigte,
dem unberechenbaren Gange der Ereignisse anheim.
Die Frage, ob Preußens Zollschranken dereinst am Main
oder am Bodensee stehen würden, war im Jahre 1819 noch
nicht praktisch; sie konnte den Leiter der preußisch-deutschen
Politik vielleicht in seinen Träumen, sie durfte ihn nicht bei
seiner Arbeit beschäftigen. Nur das eine war ihm sicher,
daß das neue Zollsystem aufrecht bleiben, den festen Kern
bilden müsse für die Neugestaltung des deutschen Verkehrs.
Er verlangte freie Hand für Preußens Handelspolitik, wies
von diesem Gebiete die Einmischung Österreichs entschieden
zurück. Aber jede Feindseligkeit gegen die Hofburg lag ihm
fern; der Gedanke, den Deutschen Bund von Österreich abzutrennen,
blieb ihm, dem Konservativen, der in den Ideen
Einen widerwärtigen Übelstand, der sofort beseitigt
werden mußte, bot die Lage der zahlreichen Enklaven. Die
Zollinien wurden alsbald soweit vorgeschoben, daß sie die
anhaltischen Herzogtümer fast ganz und auch einen Teil der
kleinen thüringischen Gebiete, die mit Preußen im Gemenge
lagen, umfaßten. Alle nach diesen Ländern eingeführten
Waren unterlagen ohne weiteres den preußischen Einfuhrzöllen.
Erst nachdem die neue Grenzbewachung in Kraft
getreten, ließ Eichhorn zu Anfang 1819 diesen Staaten die
Einladung zugehen, mit dem Berliner Kabinett wegen des
Zollwesens zu verhandeln. Der König sei bereit, nach billiger
Übereinkunft den Landesherren der eingeschlossenen Gebiete
das Einkommen zu überweisen, das seinen Staatskassen aus
den Enklaven zufließe. Dies kurz angebundene Verfahren,
das in den Papieren des Finanzministeriums als »unser
Enklavensystem« bezeichnet ward, mußte allerdings die
kleinen Höfe befremden; doch die Notwendigkeit gebot,
diesen Nachbarn zu zeigen, daß sie in ihrer Handelspolitik
von Preußen abhängig seien. Nur gutmütige Schwäche
konnte das Gelingen der großen Zollreform abhängen lassen
von der vorausgehenden Zustimmung eines Dutzends kleiner
Herren, die nach deutscher Fürstenweise allein für die Beredsamkeit
vollendeter Tatsachen empfänglich waren. Lediglich
die Eitelkeit der Nachbarfürsten ward gekränkt; den
wirtschaftlichen Interessen der Enklaven gereichte Preußens
Vorgehen offenbar zum Segen. Eine selbständige Handelspolitik
blieb in diesen armseligen Gebietstrümmern ja doch
undenkbar. Das Gedeihen ihrer Volkswirtschaft wurde
sofort vernichtet, wenn Preußen sie von seinem Zollsystem
ausschloß und sie mit seinen Schlagbäumen rings umstellte;
auch der Handel innerhalb der Provinz Sachsen erlitt ärgerliche
Störung, wenn alle durch das Anhaltische oder das
Schwarzburgische gehenden Waren verbleit und der Kontrolle
der Zollämter unterworfen werden mußten. Ebenso
wenig durfte Preußen den Verkehr der Enklaven völlig unbeaufsichtigt
lassen. Was diese Ländchen selbst an Zolleinkünften
aufbrachten, bildete freilich nur den achtzigsten
Teil der preußischen Zolleinnahmen; doch durch den Schmuggel
Durch die heilsame Rücksichtslosigkeit der Berliner Finanzmänner erhielten die Enklaven freien Verkehr auf dem preußischen Markte, ihre Staatskassen die Zusage eines gesicherten reichlichen Einkommens, das sie aus eigener Kraft niemals erwerben konnten. Die preußische Regierung handelte in gutem Glauben; sie war bereit, ihr eigenes Enklavensystem auch gegen preußisches Gebiet anwenden zu lassen; mehrmals erklärte sie, wenn ein süddeutscher Zollverein zustande komme, so müsse der enklavierte Kreis Wetzlar sich diesem Zollsystem unterwerfen. Ganz unhaltbar war vollends die von den gekränkten Kleinfürsten oft wiederholte Anklage, Preußens Enklavensystem verletze das Völkerrecht. Alle nach den Enklaven bestimmten Waren unterlagen von Rechts wegen den preußischen Durchfuhrzöllen; und wenn der Berliner Hof für gut fand, die Transitabgaben auf gewissen Straßen bis zur Höhe der Einfuhrzölle hinaufzuschrauben, so ließ sich rechtlich dawider nichts einwenden.
Indem Eichhorn die Kleinstaaten einlud zu freundnachbarlichen
Verträgen über die Behandlung der Enklaven,
erklärte er zugleich die Bereitwilligkeit des Königs, auch
über den Anschluß nichtenklavierter Gebiete zu verhandeln.
Er betonte den nationalen Charakter des Zollgesetzes, er
hob hervor, dies Gesetz sei im Sinne des Artikels 19 der Bundesakte
gedacht, sei bestimmt, zunächst in einem Teile von Deutschland
die Binnenmauten aufzuheben, sodann auch anderen
Bundesstaaten den Anschluß zu erleichtern; der König verdiene
den Dank der Bundesgenossen, da er begonnen habe,
den deutschen Markt von der Herrschaft des Auslandes zu
befreien. An dieser nationalen Richtung hat Preußens
Handelspolitik seitdem unerschütterlich festgehalten; die in
späteren Jahren oft auftauchenden Vorschläge, etwa Belgien
oder die Schweiz in den Zollverein aufzunehmen, wurden
in Berlin stets kurzerhand zurückgewiesen. Nicht kosmopolitische
Verkehrsfreiheit war Preußens Ziel,
sondern die Handelseinheit des Vaterlandes. Der
König, sagt eine von Bernstorff unterzeichnete Note an das
Kollegium der Geheimen Räte zu Gotha (vom 13. Juni
1819), beabsichtige durch das Gesetz vom 26. Mai »hauptsächlich
Im selben Sinne versicherte die Staatszeitung amtlich,
»daß Preußen schon seiner Lage wegen, mehr aber noch,
weil die Vereinigung des Einzelinteresses der deutschen
Bundesstaaten zu einem Gesamtinteresse für Preußen vorzüglich
wünschenswert sei, zu dem Plane einer völligen
Handelsfreiheit zwischen den Bundesstaaten die Hand zu
bieten am ehesten geneigt sei, und daß es am liebsten die
Schwierigkeiten gehoben sehen werde, die sich der Ausführung
entgegenzustellen schienen.« Und als gegen Weihnachten
1819 Abgeordnete des Listschen Vereins nach Berlin
kamen, um die Regierung für einen deutschen Mautverband
zu gewinnen, da erhielten sie von Hardenberg und drei
Ministern die Versicherung: »daß die preußische Regierung,
weit entfernt, durch einseitige Maßregeln den Wohlstand der
deutschen Nachbarstaaten untergraben zu wollen, sich freuen
würde, wenn alle Regierungen Deutschlands über die Grundsätze
eines gemeinschaftlichen, die Wohlfahrt aller Teile
fördernden Handelssystems sich vereinigen könnten, wozu die
preußische Regierung sehr gern die Hände bieten werde, um
ihrerseits mitzuwirken, daß dem ganzen Deutschland die
Wohltat eines freien, auf Gerechtigkeit gegründeten Handels
zuteil werde. Es ist ihnen aber auch nicht verhehlt worden,
daß der Zustand und die Verfassung der einzelnen deutschen
Staaten noch keineswegs zu gemeinsamen Anordnungen vorbereitet
erscheine; wozu auch besonders gehöre, daß die gemeinsamen
Anordnungen in einem gemeinsamen Sinne
Damit war rund und nett der Grundgedanke einer nationalen Handelspolitik ausgesprochen, welche bei der Nichtigkeit des Bundestages die einzig mögliche war. Deutlicher als Preußen sprach, konnte eine Regierung über noch unfertige Entwürfe schlechterdings nicht reden. Aber in der epidemischen Verblendung, die nunmehr über die öffentliche Meinung hereinbrach, in dem donnernden Lärm der Anklagen, die auf das absolutistische Preußen herniederprasselten, wurden die offenkundigen Worte und Taten des Berliner Kabinetts völlig vergessen. Man redete sich hinein in den Wahn, daß Preußen sich selbstgefällig von dem großen Vaterlande absondere. Alles schalt auf den Berliner Hochmut und Partikularismus, am lautesten jene kleinen Höfe, welche das Enklavensystem ertragen mußten. Selbst Karl August von Weimar betrachtete es als eine höchst anmaßende Zumutung, daß er seine rings von Preußen umschlossenen Ämter Allstedt und Oldisleben dem preußischen Zollsystem einfügen sollte, und ließ dem Berliner Hofe schreiben: »Eine strenge Durchführung des Gesetzes vom 26. Mai scheint mit dem Geiste und den Grundsätzen der Bundesakte so wenig in Einklang zu stehen, daß nicht zu bezweifeln steht, es werde diese Angelegenheit Gegenstand der nächsten Verhandlungen des Bundestages werden und S. K. Majestät von Preußen als Bundesfürst selbst geruhen, konziliatorische Anträge deshalb an den Bund gelangen zu lassen.«
Auf so naive Vorschläge konnte Eichhorn sich nicht einlassen.
Er durfte das Zollwesen der Provinz Sachsen nicht
dem Belieben Österreichs und der Bundestagsmehrheit
preisgeben, sondern gab sich der Hoffnung hin, die Erkenntnis
des eigenen Vorteils würde die kleinen thüringischen Dynasten
bestimmen, auf das Anerbieten Preußens einzugehen
und ihre enklavierten Gebietsteile durch Verträge dem preußischen
Minister Klewiz erwiderte verbindlich, durch einen Vertrag könne die Angelegenheit ohne Schwierigkeit geordnet werden; er gewährte auch dem Fürsten freundnachbarlich Freipässe für die Verzehrung seines Hofhalts, aber eine Abänderung des Gesetzes schlug er rundweg ab, da die Gefahr des Schmuggels aus den kleinen Nachbarlanden gar zu groß sei. In Sondershausen wollte man den Wink nicht verstehen. Mehrere Monate hindurch wurde die preußische Regierung immer von neuem mit der Anfrage belästigt, ob sie nun endlich bereit sei, eine Verfügung aufzuheben, welche so gröblich in die Rechte der Sondershausener Souveränität eingreife. Der Fürst selber richtete an den König die »devoteste Bitte«, ihn »durch einen neuen Beweis Allerhöchstdero allgemein verehrter und gepriesener Liberalität und Großmut zum unbegrenztesten und devotesten Danke zu verpflichten.« Alles war vergeblich; die untertänige Form konnte über den anmaßenden Inhalt der Bittschriften nicht täuschen. Dann kam der Kanzler v. Weise selbst nach Berlin, ein wackerer alter Herr, der im Verein mit seinem Sohne, dem Geheimen Rat, das Sondershausener Ländchen patriarchalisch regierte. Auch er richtete nichts aus.
Mittlerweile hatte sich Vizepräsident v. Motz
Gegen Ende September erschien der alte Weise wieder
in Berlin, und da er diesmal ernstlich verhandeln wollte,
so ward er mit großer Freundlichkeit aufgenommen. Maaßen
und Hoffmann führten die Unterhandlung, unter beständiger
Rücksprache mit Eichhorn. Noch unbekannt mit der
Nebeniusschen Denkschrift, stellte Hoffmann zuerst den Gedanken
auf: das einfachste sei doch, die gemeinsamen Zolleinnahmen
ohne fiskalische Kleinlichkeit nach der Volkszahl
zu verteilen. Damit war jener Bevölkerungsmaßstab gefunden,
der allen späteren Zollverträgen Preußens zur Grundlage
gedient hat. Weise ging sofort auf das günstige Anerbieten
ein, und am 25. Oktober 1819 wurde der erste Zollanschlußvertrag
unterzeichnet, kraft dessen der Fürst von
Sondershausen »unbeschadet seiner landesherrlichen Hoheitsrechte«
seine Unterherrschaft dem preußischen Zollgesetz
unterwarf und dafür nach dem Maßstabe der Bevölkerung
seinen Anteil an den Zolleinnahmen — vorläufig eine Bauschsumme
von 15000 Talern — erhielt. Eine Mitwirkung bei
der Zollgesetzgebung wurde dem kleinen Verbündeten nicht
zugestanden; er mußte die Handelsverträge Preußens und
Im Wippertale herrschte laute Freude. Der Fürst dankte tief gerührt für dies neue Zeichen königlicher Hochherzigkeit; nun konnte er endlich sein berühmtes Rauchtheater eröffnen, wo er mit den Bürgern seiner Residenz um die Wette den Musen des Dramas und der Rauchkunst huldigte. Finanziell betrachtet, war das Abkommen unzweifelhaft ein Löwenvertrag zugunsten Sondershausens; Preußen brachte um des politischen Zweckes willen ein Geldopfer, denn das wenig bemittelte Thüringer Bergländchen verzehrte von den einträglichsten Zollartikeln, den Kolonialwaren, weit weniger als der Durchschnitt der östlichen Provinzen.
Um so berechtigter schien die Erwartung, daß die übrigen
Kleinen dem Beispiel Sondershausens folgen würden. Im
Eingange des Vertrags hatte der König nochmals erklären
lassen, daß er bereit sei, ähnliche Abkommen mit anderen
Bundesfürsten zu schließen. Rudolstadt begann schon zu verhandeln.
Auch mit Braunschweig, Weimar, Gotha dachte
Hoffmann binnen kurzem ins Reine zu kommen, und bereits
ging er mit seinen Entwürfen über die Grundsätze des Enklavensystems
hinaus. Die unglückliche zerrissene Gestalt seines
Gebietes zwang den preußischen Staat, auch wenn er auf
alle Eroberungspläne verzichtete, mindestens zum handelspolitischen
Ehrgeiz; er konnte sein Steuersystem kaum durchführen,
wenn er nicht außer den Enklaven auch noch einige
nur halb umschlossene Nachbarlandschaften seinem Zollgesetze
unterwarf. Da lag Anhalt-Bernburg, das auf eine
kleine Strecke Weges nicht an Preußen grenzte und also
gewissenhaft als Ausland behandelt wurde. Was war der
Dank? Ein ungeheuerer Schmuggel, der von Monat zu Monat
anwuchs und die Zolleinnahme der Provinz Sachsen zu verschlingen
drohte. Schon im Oktober wurden 4023 Zentner
zumeist Kolonialwaren, in die anhaltischen Harzstädtchen bei
Ballenstedt eingeführt, um alsbald spurlos zu verschwinden.
Mindestens dies Vorland, meinte Hoffmann, müsse sogleich
in die Zollinie eintreten; werde der Vertrag mit Sondershausen
Die Hoffnung trog. Jener Zollvertrag, der uns heute so selbstverständlich erscheint, sollte während mehrerer Jahre der einzige bleiben. Kaum ward er ruchbar, so erscholl an allen Höfen ein Schrei des Zornes. Fürst Anton Günther mußte von seinen durchlauchtigen Genossen ernste Vorwürfe hören, weil er das Kleinod der Souveränität so würdelos preisgegeben; die anderen kleinen Nachbarn, die seinem Vorgange bereits folgen wollten, traten, eingeschüchtert durch die allgemeine Entrüstung, von den Verhandlungen zurück. An die Spitze der Gegner Preußens stellte sich der Herzog von Cöthen. Der erklärte im Namen der kleinen Fürsten: »freiwillig können und werden sie sich nicht unterwerfen, wenn sie nicht die heiligsten Pflichten gegen ihre Untertanen, gegen ihre Häuser und gegen ihre eigene Ehre verletzen wollen«; dann forderte er getrost, Preußen solle ihm einen fünf Stunden breiten Streifen zollfreien Gebiets bis zur sächsischen Grenze zur Verfügung stellen, damit das Haus Anhalt freien Zugang zum Welthandel erlange. Gemütlich lauernd und im Stillen schürend, stand hinter den erbitterten Kleinen der treue Bundesgenosse Preußens, Österreich. Die Höfe beschlossen insgeheim, auf den Wiener Konferenzen mit vereinter Kraft die Aufhebung des preußischen Zollgesetzes durchzusetzen; nur wenn der vorhandene Anfang deutscher Zolleinheit vom Erdboden verschwand, konnte der Bundestag die nationale Handelspolitik begründen! Und an dieser Raserei partikularistischer Leidenschaft nahm die gesamte Nation außerhalb Preußens teil. Alle die Lieder und Reden zum Preise der deutschen Einheit waren vergessen, sobald Preußen sich anschickte, den Deutschen »die Wohltat eines gemeinsamen Vaterlandes zu gewähren«.
Preußens Staatsmänner hatten gehofft, schon in dem
ersten Jahre, da das neue Gesetz bestand, einige der deutschen
Nachbarn für die Politik der praktischen deutschen Einheit
zu gewinnen. Jetzt sahen sie sich in die Verteidigung zurückgeworfen.
Der siegreiche Kampf um die Behauptung, dann
um die Erweiterung des Zollgebiets blieb auf Jahre hinaus
die wichtigste Aufgabe der preußischen Staatskunst. Durch die
friedlichen Eroberungen dieses Kampfes hat König Friedrich
Quelle: H. v. Treitschke, Deutsche Geschichte usw. II, 607ff.
Als Hardenberg seine Weisungen (für die nach Wien
berufene Ministerkonferenz) an Bernstorff
Auf lebhaften Widerspruch war Bernstorff von vornherein gefaßt; er wußte wohl, wie unfaßbar diese nüchternen handelspolitischen Gedanken, die heute jedem geläufig sind, der großen Mehrzahl der deutschen Höfe noch erschienen. Der leidenschaftliche Ausbruch »gehässiger Vorurteile«, den er in Wien erleben mußte, übertraf doch seine schlimmsten Erwartungen. Die naive volkswirtschaftliche Unwissenheit der Epoche feierte auf den Konferenzen ihre Saturnalien; fast die gesamte deutsche Diplomatie lief Sturm wider das preußische Zollgesetz. Sobald auf die Fragen des Handels die Rede kam, verschob sich die Stellung der Parteien vollständig. Der preußische Bevollmächtigte, der fast in allen andern Fragen die Mehrheit der Versammlung nach sich zog, stand in den handelspolitischen Beratungen ebenso vereinsamt wie in den militärischen, er erschien wie der Störenfried der deutschen Einigkeit. Dieselben Höfe, die überall sonst den Wirkungskreis des Bundes ängstlich zu beschränken suchten, hofften durch einen rechtswidrigen Bundesbeschluß jene segensreiche Reform, welche dem preußischen Deutschland den freien Verkehr geschenkt hatte, wieder umzustoßen. Von Mund zu Mund ging die sophistische Behauptung, das preußische Gesetz verstoße wider den Artikel 19 der Bundesakte, der nichts weiter enthielt als die Zusage, daß der Bundestag wegen des Handels und Verkehrs »in Beratung treten« solle.
Preußens böser Genius, so ließen sich selbst Wohlmeinende
vernehmen, hat dies unglückliche Gesetz geschaffen, das ihm
überall Zutrauen und Zuneigung verscherzt; Preußen wird
es dereinst noch bereuen! Und seltsam, die Angriffe der
entrüsteten Vorkämpfer deutscher Handelsfreiheit richteten
sich ausschließlich gegen Preußen, obgleich auch andere Bundesstaaten
des gleichen Frevels schuldig waren. Bayern hatte
Ähnliche Gesinnungen hegte der Kasseler Hof, der bereits,
ohne eine Verständigung mit dem Nachbarstaate auch
nur zu versuchen, den Zollkrieg gegen Preußen eröffnet
hatte. Durch ein Gesetz vom 17. September 1819 wurde die
Ein- und Durchfuhr vieler preußischer Waren verboten oder
mit schweren Zöllen belegt. Der Mehrbetrag der erhöhten
Abgaben sollte verwendet werden zum Besten der hessischen
Gewerbetreibenden, welche das preußische Zollgesetz an den
Bettelstab gebracht habe — ein Versprechen, das der geizige
Kurfürst
Unter den Widersachern Preußens verstand doch keiner
eine so urwüchsig grobe Sprache zu führen wie der Herzog
Ferdinand von Köthen, ein eitler, nichtiger Mensch, der im
Jahre 1806 wegen erwiesener Unfähigkeit den preußischen
Kriegsdienst hatte verlassen müssen und jetzt persönlich an die
Donau eilte, um »die Mediatisierung des uralten Hauses
Anhalt« abzuwenden. Die wirkliche Herrin seines Ländchens
Mehr oder minder eifrig klagten auch die meisten übrigen
Bevollmächtigten wider die Selbstsucht des Staates, der allein
dem Ideale der deutschen Handelseinheit im Wege stehe.
Nur die Hansestädte, befriedigt mit ihrer kosmopolitischen
Handelsstellung, wiesen jeden Versuch gemeinsamer deutscher
Handelspolitik kühl zurück. Auch Zentner
Die Nation war über das Problem der Zolleinheit noch ebenso wenig ins Klare gekommen wie ihre Staatsmänner. Von dem politischen Ergebnis der Konferenzen erwartete sie, nach den Karlsbader Erfahrungen, nichts Erfreuliches; nur die Aufhebung der Binnenmauten und namentlich der preußischen Zollinien erschien allen Parteien als ein bescheidener Wunsch, der bei einigem guten Willen der Regierungen leicht erfüllt werden konnte. Eine Flugschrift »Freimütige Worte eines Deutschen aus Anhalt« sprach mit drastischen Worten aus, was nahezu alle Nichtpreußen über die Berliner Handelspolitik dachten. Der offenbar wohlmeinende Verfasser fand es ehrenrührig, daß man die von preußischem Gebiete umschlossenen Staaten als Enklaven bezeichne, und schlechthin rechtswidrig, daß Preußen von »Fremden« Steuern erhebe; das Strafurteil der öffentlichen Meinung müsse der Sache »der Wahrheit und des Rechts« unfehlbar zum Siege verhelfen.
Als Wortführer der Kaufleute und Gewerbtreibenden
fand sich F. List mit seinen Getreuen J. J. Schnell und E. Weber
auf den Konferenzen ein und legte eine Denkschrift
vor, deren hochgemutes patriotisches Pathos inmitten der
engherzigen partikularistischen Interessenpolitik der Wiener
Versammlung wildfremd erschien. Mit der Einheit der Nation
— so führte er in beredten Worten aus — sei die vollkommene
Unabhängigkeit der Einzelstaaten nicht vereinbar; der Bund
müsse den 30 Millionen Deutschen den Segen des freien
Verkehrs schaffen und also in Wahrheit ein Bund der Deutschen
werden. Und was war der praktische Vorschlag, der
diesen begeisterten Worten folgte? List verlangte, daß die
deutschen Staaten ihre Zölle an eine Aktiengesellschaft verpachten
sollten, und machte sich anheischig, die Aktien unterzubringen;
diese Gesellschaft würde das deutsche Bundeszollwesen
begründen und den Regierungen alle Sorge um lästige
Einzelheiten abnehmen! Seltsam doch, in welche holden
Selbsttäuschungen der feurige Patriot sich einwiegte. Er
behauptete, Preußen sei geneigt, sein Zollgesetz aufzugeben,
obgleich man ihm soeben von Berlin aus amtlich das Gegenteil
versichert hatte. Er sah sich von der Wiener Polizei argwöhnisch
beobachtet und schrieb in die Heimat: »wir sind
von allen Seiten mit Spionen umgeben, bei einem Spion
In der Konferenz eröffnete Marschall den Kampf durch
eine Denkschrift vom 8. Januar, welche den preußischen
Staat mit so grobem Unglimpf überhäufte, daß Bernstorff
sie dem Verfasser zurückgab. Durch die neuen Zolleinrichtungen,
hieß es da, würden die Eigentumsrechte von Hunderttausenden
angegriffen, das Eigentum und der Besitz vermindert.
Dann forderte der Nassauer getrost: Aufhebung aller
seit dem Jahre 1814 neu eingeführten Mauten und sofortige
Vollziehung der Beschlüsse des Wiener Kongresses über die
Flußschiffahrt; im übrigen volle Freiheit für jeden deutschen
Staat, die Zölle gegen das Ausland willkürlich festzusetzen,
wenn er nur keine Binnenmauten errichte. Daß der letztere
Vorschlag einen plumpen Widerspruch enthielt, daß kein Einzelstaat
sich gegen das Ausland schützen konnte, wenn seine
deutschen Binnengrenzen unbewacht blieben — diese handgreifliche
Wahrheit war dem nassauischen Staatsmanne ganz
Dann wiederholte Berstett seine alten Klagen gegen die Binnenmauten und verteilte unter den Genossen jene gedankenreiche Denkschrift von Nebenius über die Bundeszölle; bei ruhiger Prüfung mußten jedoch alle die Unmöglichkeit einer Bundeszollverwaltung zugestehen, und der badische Minister selbst ließ den Plan seines geistvollen Untergebenen fallen. Darauf neue wütende Ausfälle Marschalls, so grob und ungeschlacht, daß Bernstorff beim Schluß der Konferenzen dem Bundesgesandten schrieb: »es würde unter der Würde unseres höchsten Hofes sein, diesem in keiner Hinsicht achtungswerten Manne irgendeine gegen seine Person gerichtete Empfindlichkeit zu äußern«, Goltz möge sich also dem nassauischen Kollegen gleichgültig fern halten. Nunmehr protestierte auch Fritsch im Namen der Thüringer wider Preußens Enklavensystem und verlangte, jedem Produzenten müsse gestattet werden, seine Erzeugnisse überall in Deutschland frei abzusetzen, jedem Konsumenten, seinen Bedarf auf dem nächsten Wege zu beziehen. Dazwischen hinein fuhr der Köthener Herzog, dessen anmaßendes Benehmen Bernstorff nicht grell genug schildern konnte, mit wiederholten geharnischten Verwahrungen. Er klagte, man lasse ihn alle Lasten des preußischen Zollwesens tragen, nicht die Vorteile, während es doch lediglich an ihm lag, auf Preußens Anerbietungen einzugehen und auch der Vorteile teilhaftig zu werden. Er drohte die auswärtigen Garanten der Bundesakte anzurufen zum Schutze der »über allem Angriff erhabenen Sache« des uralten Hauses Anhalt. Schließlich verweigerte er geradezu der Schlußakte seine Unterschrift, wenn ihm der Bund nicht die »freie Kommunikation mit Europa« sicherstellte: »so lange die Herzöge von Anhalt sich in einer drückenden unfreiwilligen Zinsbarkeit gegen einen mächtigen Nachbarstaat befinden, kann für dieses alte Fürstenhaus keine Bundesakte und also auch keine Schlußakte existieren.«
Inmitten dieses Gezänks bewahrte Graf Bernstorff vornehme
Ruhe und aufrichtigen Freimut. Er beklagte laut,
daß die Bundesakte durch ihre allgemeinen Versprechungen
unerfüllbare Erwartungen geweckt habe. Fest und stolz wies
Wahrlich, ein historischer Augenblick! Der große Kampf zweier Jahrhunderte, der alte unversöhnliche Gegensatz österreichischer und preußisch-deutscher Politik erneuerte sich in diesen unscheinbaren Händeln, noch ohne daß die Kämpfer den tiefen Sinn des Streites begriffen … Die ganze Zukunft deutscher Politik hing daran, daß Preußens verständige Redlichkeit triumphierte über dies Bündnis der Unklarheit und der Lüge. Und Preußen siegte.
Da die Gegner nur in ihrem Hasse, nicht in irgendeinem
positiven Gedanken übereinstimmten, so errang Bernstorff
bereits am 10. Februar einen durchschlagenden Erfolg in dem
handelspolitischen Ausschusse der Konferenz; er bewog den
Ausschuß, seine Anträge auf einige »mehr vorbereitende als
entscheidende, keinen künftigen bundesförderlichen Beschlüssen
vorgreifende Bestimmungen zu beschränken«. Der Ausschuß
beantragte demnach lediglich, daß der Bundestag,
dem Artikel 19 gemäß, die Beförderung des Handels als einen
der Hauptgegenstände seiner Tätigkeit ansehen solle. Nur
Über die Freiheit des Getreidehandels setzte man ebenfalls
ein besonderes Protokoll auf, aber Metternich vereitelte
schließlich auch diesen einzigen heilsamen Plan, in dem sich
alle Parteien zusammenfanden. Er schob die Entscheidung
immer wieder hinaus, und als die Konferenz endlich zum
Beschlusse schreiten wollte, da war Kaiser Franz, zum lebhaften
Bedauern seines Ministers, bereits nach Prag abgereist.
Arglos meldete Bernstorff einige Tage später, die Erwiderung
Sr. Majestät sei noch immer nicht eingetroffen. Die Konferenz
mußte auseinandergehen, ohne das Protokoll abzuschließen.
Erst gegen Mitte Juni lief die österreichische Antwort
beim Bundestage ein. Der gute Kaiser, der sich gegen
F. List so väterlich über das Wohl des deutschen Vaterlandes
geäußert hatte, meinte jetzt trocken: das Wiener Protokoll
»sei eigentlich nur bestimmt, die Veranlassung zur weiteren
Entwickelung der darin ausgesprochenen Grundsätze zu
geben«; man brauche also nicht förmlich darüber abzustimmen,
sondern solle nur sogleich die vorbehaltene Beratung am Bundestage
beginnen. Dies geschah denn auch. In einem salbungsvollen
Präsidialvortrage feierte Buol
Der Verlauf der Konferenzen selbst bestätigte durchweg,
was Bernstorff vorhergesagt: daß ein Bund ohne politische
Einheit keine gemeinsame Handelspolitik treiben könne. Angesichts
dieser Erfahrungen begannen einige der süddeutschen
Staatsmänner sich doch endlich mit den Ratschlägen Bernstorffs
zu befreunden. Eingepreßt zwischen den Mautlinien
Frankreichs, Österreichs, Preußens, vermochte die Volkswirtschaft
des Oberlandes kaum mehr zu atmen, zumal da noch
keiner der süddeutschen Staaten, außer Bayern, ein geordnetes
Zollwesen besaß. Die Frage ließ sich nicht mehr abweisen,
ob man nicht zunächst versuchen solle, diese zerstückelten Gebiete
in einem handelspolitischen Sonderbunde zu vereinigen,
also genau dasselbe zu tun, was man soeben dem preußischen
Staate als Bundesfriedensbruch vorgeworfen hatte. Den
ersten Anstoß zu solchen Plänen gab der wackere du Thil;
noch späterhin pflegte der Darmstädter Hof sich dieses Verdienstes
gern zu rühmen. Aber erst durch Berstetts rührige
Tätigkeit gewann der Gedanke Leben. Der Badener hegte,
wie du Thil, die ehrliche Hoffnung, daß aus diesem Sonderbunde
»nach und nach ein Ganzes« hervorgehen werde;
indes dachte er auch an Retorsionen gegen die preußischen
Zölle und gab eine kurz abweisende Antwort, als Bernstorff
ihm versicherte, mit einem süddeutschen Zollverein werde
Preußen gern Handelsverträge abschließen. Auch Marschall
ließ sich auf den Plan nur ein, weil er erwartete, daß Süddeutschland
nunmehr mit vereinter Kraft den Zollkrieg
gegen Preußen eröffnen werde. Württemberg endlich
spielte mit Triasplänen und hoffte, den politischen Bund des
Bei solcher Verschiedenheit der politischen Absichten
konnte Berstett nach langwierigen vertraulichen Beratungen
nur einen bescheidenen Erfolg erreichen. Am 19. Mai verpflichteten
sich die beiden süddeutschen Königreiche, Baden,
Darmstadt, Nassau und die thüringischen Staaten, noch
im Laufe des Jahres Bevollmächtigte nach Darmstadt zu
senden, welche dort auf Grund einer unverbindlichen Punktation
über die Bildung eines süddeutschen Zollvereins verhandeln
sollten. Mehr wollte der vorsichtige Zentner, der sein
bayrisches Zollgesetz behüten mußte, schlechterdings nicht versprechen.
Immerhin war jetzt doch ein Weg betreten, der aus
dem Elend der Binnenmauten vielleicht hinausführen konnte.
Die liberale Presse begrüßte dankbar die patriotische Tat
ihrer Lieblinge. Der allzeit vertrauensvolle List sah das Ideal
der deutschen Zolleinheit bereits nahezu verwirklicht, und
als er bald darauf nach Frankfurt kam, fand er seinen Gönner
Wangenheim
Der Versuch, das preußische Zollgesetz durch ein Machtgebot
des Bundes zu vernichten, war gescheitert. Doch
unterdessen führte der Köthener Herzog seinen Schmuggelkrieg
wider die preußischen Mauten wohlgemut weiter und
hemmte dadurch zugleich die Verhandlungen über die Elbschiffahrt.
Wie oft hatten einst die Fremden gespottet über
furiosa dementia
Offenbar vermochten diese wohltätigen Verheißungen
nur dann ins Leben zu treten, wenn die Erhebung der Schiffahrtsabgaben,
wie der Artikel 115 ausdrücklich vorschrieb,
von dem Zollwesen der Uferstaaten durchaus getrennt blieb
und alle Beteiligten durch eine strenge Uferpolizei verhinderten,
daß die freie Schiffahrt zum Schmuggel in die Nachbarlande
mißbraucht würde. Nur unter dieser Bedingung konnte
Preußen, das jene Artikel der Kongreßakte als sein eigenes
Werk betrachtete, seine Hand zu ihrer Ausführung bieten;
wie durfte man — so fragte späterhin eine preußische Staatsschrift
— einem mächtigen Staate zumuten, »in seinem Herzen
einen Wurm zu dulden, der seine innere Lebenswurzel
annagt?« Nur wenn Anhalt, das von der Provinz Sachsen
Da mit Vernunftgründen bei diesem Hofe nichts auszurichten war, so begnügte sich Preußen vorläufig, sein Enklavensystem gegen Anhalt aufrecht zu halten. Alle zu Lande nach Anhalt eingehenden Waren wurden dem preußischen Eingangszolle unterworfen. Nur den Elbschiffern erlaubte man Sicherheit zu stellen für die Zahlung der preußischen Abgaben und erstattete ihnen den Betrag zurück, falls der Verbleib der eingeführten Waren in Anhalt nachgewiesen wurde.
Schamloser Unterschleif war die Folge dieser Erleichterung.
Der anhaltische Schleichhandel wuchs von Monat
zu Monat, und mit Ungeduld erwarteten die preußischen
Finanzmänner die vertragsmäßige Regelung dieser leidigen
Zustände, als endlich im Juni 1819 — viertehalb Jahre nach
dem Zeitpunkt, welchen der Wiener Kongreß vorgeschrieben —
die Elbschiffahrtskonferenz in Dresden eröffnet wurde. Dort
sprachen Hamburg und Österreich eifrig für die Befreiung
des Flusses, die ihnen freilich nur Vorteil bringen konnte,
da die Hansestadt gar keine Schiffahrtsabgaben erhob und die
hohen böhmischen Elbzölle auf der wenig befahrenen obersten
Die preußische Regierung behauptete während dieses
unleidlichen Gezänks durchweg eine versöhnliche Haltung.
Sie gab für den Elbverkehr ihre Durchfuhrzölle auf, die einen
so wesentlichen Bestandteil ihrer Handelspolitik bildeten,
und war bereit, die Schiffahrtsabgaben noch weiter herabzusetzen
als die kleinen Nachbarn zugestehen wollten; aber
sie erklärte auch von vornherein, daß sie eine Schmugglerherberge
im Innern ihres Staates nicht dulden werde und
darum die Elbschiffahrtsakte nur unterzeichnen könne, wenn
Anhalt sich ihrem Zollwesen anschließe. Ihr Bevollmächtigter
fügte warnend hinzu: das eigene Interesse der kleinen Regierungen
gebiete ihnen, das Zollsystem des großen Nachbarstaates
zu unterstützen, »weil dadurch die zu ihren Gunsten
bestehende Zerstückelung Deutschlands in ihren nachteiligen
Folgen gemildert werden würde«. Wie flammte der kleine
Köthener Herr auf, als er diese unerhörte Äußerung preußischen
Übermuts erfuhr und gleichzeitig Bernstorff in einem
Dieser mächtigste der Bundesstaaten trieb unterdessen
sein doppeltes Spiel weiter. Metternich, der ebenfalls in
Karlsbad anwesend war, hielt zwar, auf Preußens Wunsch,
einige Unterredungen mit dem Herzog, angeblich, um den
Streit beizulegen. Aber zur nämlichen Zeit reichte die Köthener
Regierung eine Klage beim Bundestage ein und forderte die
Herausgabe eines dem Köthener Kaufmann Friedheim gehörigen
Elbschiffes, das beim preußischen Zollamte Mühlberg
an der Kette lag, weil der Schiffer für den Betrag der
Da Preußen unerschütterlich blieb, so bequemten sich
die drei anhaltischen Herzöge schließlich doch zu einem Zugeständnis
und versprachen auf der Dresdener Konferenz
feierlich »zu einem Vereine mit Preußen wegen Sicherstellung
seiner Landesabgaben auf möglichst ausführbare Weise die
Hand zu bieten«. Auf dies Fürstenwort vertrauend, hielt
König Friedrich Wilhelm den Hader nunmehr für abgetan;
er ratifizierte die Akte, ließ jenes unglückliche Köthener Schiff
freigeben, also daß die Klage am Bundestage ihren Gegenstand
verlor, und Bernstorff lud die anhaltischen Höfe nochmals
ein, in Berlin wegen der Bedingungen des Zollanschlusses
zu verhandeln. Aber Monate vergingen, und kein anhaltischer
Bevollmächtigter erschien. Dem unaufhaltsamen Köthener
war es gelungen, seine wohlmeinenden Vettern von Dessau
und Bernburg
Da die Elbschiffahrtsakte im März 1822 in Kraft treten
sollte, so entschloß sich Minister Klewiz im Januar, das Enklavensystem
gegen Anhalt vorläufig aufzuheben, was die
Finanzpartei in Berlin schon längst gefordert, Eichhorn aber,
aus Wohlwollen gegen das Nachbarland, bisher verhindert
hatte. Man umringte demnach die drei Herzogtümer mit
preußischen Zollstellen; der Elbverkehr dagegen ward, gemäß
der Akte, freigegeben und Preußen begnügte sich, die nach
Anhalt bestimmten Schiffe einer Durchsuchung zu unterwerfen.
Der Besitz einer souveränen Krone ohne Macht entsittlicht
auf die Dauer ihren Träger. Wie gründlich mußte
das Rechtsgefühl der kleinen Höfe, seit sie keinen Richter mehr
über sich anerkannten, verwüstet sein, wenn dies rechtschaffene
askanische Haus, das von jeher einer wohlverdienten allgemeinen
Achtung genoß und so viele seiner tapferen Söhne
Um dieser letzteren Verpflichtung scheinbar zu genügen,
sendete Herzog Ferdinand endlich im Januar 1822 seinen
Hofmarschall Sternegg nach Berlin, befahl ihm, allein mit
Hardenberg zu verhandeln; mit Bernstorff zu sprechen, sei
unter der Würde des Kötheners. Der Staatskanzler aber
zwang den Abgesandten kurzweg, sich an das Auswärtige
Amt zu wenden, und dort stellte sich heraus, daß Sternegg
durchaus keine Anerbietungen wegen des Zollanschlusses zu
bringen, sondern lediglich eine Entschädigungsforderung zu
überreichen hatte. Der Schaden Köthens betrug, nach dem
billigen Maßstabe der Kopfzahl angeschlagen, etwa 40 000
Taler für drei Jahre. Der Herzog berechnete das Zehnfache
und zeigte sich hoch erstaunt, da Preußen den Köthener
Schmuggel in Gegenrechnung stellte. Nach langen, gereizten
Erörterungen rückten die Herzöge schließlich mit dem Vorschlage
heraus: Preußen möge dem enklavierten Anhalt
durch einen Gebietsaustausch auf ewige Zeiten freien Verkehr
mit Sachsen verschaffen, dann seien die drei Höfe bereit,
sich versuchsweise auf einige Jahre dem preußischen Zollsystem
anzuschließen. Sofort wies Bernstorff die »unangemessene«
Zumutung scharf zurück, der Unterhändler mußte
abziehen, und Anhalt blieb mit preußischen Zollinien umgeben.
Aber der Schleichhandel blühte fröhlich fort, die
Grenzwache Preußens war machtlos gegen den bösen Willen
der herzoglichen Behörden. Obwohl der Berliner Hof
über Adam Müllers Ränke genau unterrichtet war, so wollte
er doch schlechterdings nicht glauben, daß Fürst Metternich
Und in diesem Streite, der alle Selbstsucht, allen Dünkel, alle Torheit der Kleinstaaterei an den Tag brachte, stand die deutsche Presse wie ein Mann zu den anhaltischen Schmugglern. Der Schmerzensschrei des freien Kötheners war das Wiegenlied der deutschen Handelseinheit, die erst nach zwei Menschenaltern auf demselben Elbstrome unter den Weherufen des freien Hamburgers ihr letztes Ziel erreichen sollte. Mit einer Verblendung ohnegleichen täuschte sich die Bevölkerung der kleinen Staaten, bei jeder Wendung dieses wirrenreichen Kampfes, regelmäßig über ihr eigenes und des Vaterlandes Wohl, um jedesmal, sobald der gefürchtete Anschluß an Preußen endlich vollzogen war, die Notwendigkeit der Änderung nachträglich dankbar anzuerkennen. Ebenso regelmäßig verdeckte der Partikularismus seine Selbstsucht hinter dem schönen Worte der Freiheit; bald nahm er die Freiheit des Handels, bald das freie Selbstbestimmungsrecht der deutschen Ströme, bald auch beides zugleich zum Vorwand, und jedesmal ließ sich die vom Liberalismus beherrschte öffentliche Meinung durch solche hohle Kraftworte verführen.
Die unausrottbaren Vorurteile wider das preußische
Zollgesetz wirkten zusammen mit jener gedankenlosen Gemütlichkeit,
die es unbesehen für unedel hält, bei einem Kampfe
zwischen Macht und Ohnmacht die Partei des Stärkeren zu
ergreifen. Und dazu der juristische Formalismus unserer
politischen Bildung, der gar nicht ahnte, daß im Staatenverkehre
das formelle Recht nichtig ist, wenn es nicht durch die
lebendige Macht getragen wird. War denn Köthen nicht
ebenso souverän wie Preußen? Wie durfte man dieser souveränen
Macht einen Zollanschluß zumuten, der ihr freilich
nur Segen bringen konnte und sich aus ihrer geographischen
Lage mit unabwendbarer Notwendigkeit ergab, aber ihrem
freien Selbstbestimmungsrechte widersprach? Und wenn es
ihr beliebte, die Freiheit der Elbe zur boshaften Schädigung
des Nachbarlandes zu gebrauchen — in welchem Artikel der
Bundesakte war dies denn verboten? Daß Anhalt sich durch
die Wiener Verträge zur Beseitigung des Schleichhandels
Auch die Mehrheit am Bundestage kam der Klage des
Köthener Hofes, die selbst nach der Freigebung jenes Elbschiffes
nicht zurückgezogen wurde, bereitwillig entgegen.
Umsonst verwahrte sich König Friedrich Wilhelm, als er im
Sommer 1821 durch Frankfurt kam, mit scharfen Worten
wider den Vorwurf, daß er Anhalt mediatisieren wolle.
Die kleinen Höfe ließen sichs nicht ausreden: Preußen wünsche,
wie Berstett sich ausdrückte, »seine geographische Dünnleibigkeit
auf Kosten einiger Kleineren zu arrondieren«. Der
neu ernannte badische Bundesgesandte Blittersdorff
Das also war für Preußen das Ergebnis der handelspolitischen
Verhandlungen in Wien und Dresden. Das neue
Zollgesetz war gegen den Widerstand fast aller Bundesstaaten
unverändert aufrecht geblieben, auch die Freiheit der Elbe
war notdürftig sicher gestellt, und die alte Ansicht der preußischen
Regierung, daß der Bund für den deutschen Verkehr
schlechterdings nichts zu leisten vermöge, hatte sich abermals
bestätigt. Aber ebenso fest stand auch die Erkenntnis, daß Verhandlungen
mit den einzelnen Staaten, bei ihrer gegenwärtigen
Stimmung, vorläufig ganz aussichtslos waren. Welche
unbelehrbare Gehässigkeit war dem Grafen Bernstorff entgegengetreten,
welche anmaßende Sprache hatte er anhören
müssen, erst in Wien, dann in Dresden! Nach so niederschlagenden
Erfahrungen faßte man in Berlin den verständigen
Entschluß, fortan keine Einladungen mehr ergehen zu
lassen, sondern gelassen zu warten, bis die Not den kleinen
Nachbarn die Augen öffne. In diesem Sinne erging an sämtliche
Gesandten in Deutschland die gemessene Weisung, sich
streng zurückzuhalten und auf alle handelspolitischen Anfragen
lediglich zu antworten: der König habe schon im Jahre 1818
sich zu Verhandlungen bereit erklärt, er hege noch immer
den Wunsch, andere deutsche Staaten mit seinem Zollsysteme
zu verbinden, jetzt sei es an den Nachbarn, dem guten Willen
entgegenzukommen. Eichhorn begründete diesen Entschluß
mit der Erwägung, daß die Eifersucht der Dynastien durch
Einladungen erfahrungsgemäß nur gereizt würde: »Solche
Anträge konnten zugleich als Aufforderungen zur Änderung
ihrer inneren Staatsgesetzgebung und als ihre Selbständigkeit
Quelle: H. v. Treitschke, Deutsche Geschichte usw. III, 29ff.
Sehr wichtig wurde die große Handelskonferenz der süddeutschen und einiger mitteldeutschen Kleinstaaten, welche, den Wiener Verabredungen gemäß, am 13. September 1820 in Darmstadt zusammentrat. Auch hier war Wangenheim die Unruhe in der Uhr. Unermüdlich kam er von Frankfurt herübergeritten, immer zur Vermittlung bereit, gleich befreundet mit dem Schutzzöllner List und dem Freihändler Nebenius; denn aus diesem Handelstage mußte unfehlbar der politische Bund des reinen Deutschlands hervorgehen. In der Tat blieben die Darmstädter Verhandlungen nicht ganz unfruchtbar, obgleich sich Pläne und Gegenpläne noch rastlos wie die Blasen im brodelnden Wasserkessel übereinander drängten. Sie dienten als ein Läuterungsprozeß, der die unbrauchbaren, traumhaften Gedanken aus der deutschen Handelspolitik ausschied. Sie boten den Teilnehmern wie dem aufmerksam zuschauenden Berliner Hofe die Gelegenheit, die wirtschaftlichen Interessen der Bundesstaaten kennen zu lernen, die Bedingungen eines Handelsvereins ernstlich zu erwägen. Aber sie lehrten auch durch ihr wiederholtes Scheitern, daß ein Zollverein ohne Preußen unmöglich war. Von einem binnenländischen Wirtschaftsgebiete, dem die Küste fehlte, konnte niemals eine lebensfähige nationale Handelspolitik ausgehen.
Kein Wunder freilich, daß die mißhandelte Nation den
ersten Versuch zur Beseitigung der Binnenmauten mit Jubel
Leider wurde die allgemeine Unklarheit nur vermehrt
durch die Schriften Lists und seiner Genossen, die sich allmählich
ganz in die Irrtümer des starren Prohibitivsystems
verloren. Miller von Immenstadt forderte in einer für die
Darmstädter Konferenzen bestimmten Druckschrift (Juli 1821):
Verbot aller auswärtigen Waren, die wir selbst erzeugen oder
durch Surrogate ersetzen können; mit der Schweiz und Piemont,
mit Holland, Hannover, den Hansestädten und Holstein müsse
man sich zu verbinden suchen; der König von Dänemark
werde als treuer deutscher Bundesfürst sicherlich geneigt sein,
die Schiffe des Vereins mit seinem Danebrog zu decken. Das
alles im Namen deutscher Ehre und mit dem unvermeidlichen
Die Kabinette selbst waren mit nichten einiger als die öffentliche Meinung, denn die verbündeten Staaten bildeten nur scheinbar eine geographische Einheit. Sobald man den Geschäften ernsthaft ins Auge sah, zeigte sich, daß eine natürliche Gemeinschaft süddeutscher Volkswirtschaft, dem Norden gegenüber, nicht bestand. Vielmehr trat wieder einmal jene eigentümliche Stellung des Rheinlandes hervor, das so oft schon in unserer Geschichte die heilsame Rolle des Vermittlers gespielt hat zwischen Nord und Süd. Die kleinen oberrheinischen Staaten waren dem rheinischen Tieflande durch stärkere Interessen verbunden als den bayrisch-schwäbischen Landen. Nun gar Kurhessen und Thüringen wurden nur durch eine politische Schrulle, durch den Haß gegen Preußen, in diese süddeutsche Genossenschaft getrieben. Darum verhielt sich der Kasseler Hof von vornherein unlustig und ablehnend. Die thüringischen Staaten begannen schon 1822 Sonderberatungen in Arnstadt, doch nahmen sie gleichzeitig an den Darmstädter Konferenzen teil und belästigten das Berliner Kabinett mit nichtssagenden allgemeinen Anfragen — die bare Ratlosigkeit des Nichtwollens und Nichtkönnens.
Und welch ein Gegensatz der staatswirtschaftlichen Gesetze
und Ansichten! In Baden verboten sich hohe Zölle von selbst,
weil das gesamte Land nur aus Grenzbezirken bestand und
die benachbarte Schweiz noch kein geordnetes Mautwesen
besaß. Die Regierung verstand die günstige Handelslage des
Staates geschickt auszubeuten, sie begnügte sich mit sehr
niedrigen Finanzzöllen, welche einen schwunghaften Durchfuhrhandel
So abweichende Richtungen zu versöhnen war unmöglich
auf dem engen Raume eines süddeutschen Verbandes. Allein
ein großes freies Marktgebiet konnte die Staaten genugsam
entschädigen für die unvermeidlichen Opfer und Belästigungen,
welche jeder Zollverein anfangs den Genossen auferlegt;
und diesen einzig ausreichenden Ersatz gewann man
Ein prunkendes Aushängeschild für den Verein war rasch
gefunden. Die Handelspolitik der Verbündeten sollte auf dem
»staatswirtschaftlich-finanziellen Prinzipe« ruhen — ein schönes
Wort, dem leider jedes Kabinett einen anderen Sinn unterlegte.
Der tüchtigste Staatswirt der Versammlung, Nebenius,
Nebenius wollte ferner alle Zölle an den Grenzen erheben, keine Packhöfe dulden, nur die Rheinhäfen außerhalb der Mautlinie liegen lassen. Dahinter verbarg sich die Hoffnung der Karlsruher Bureaukratie, Kehl und Mannheim zu Hauptstapelplätzen des Vereins zu erheben. Mit Recht erhob Bayern lebhaften Widerspruch: nur bei ganz niedrigen Zöllen seien Lagerhäuser entbehrlich; auch solle man die Hoffnung auf Frankfurts Beitritt festhalten und nicht den natürlichen Mittelpunkt des oberrheinischen Speditionshandels zugunsten kleinerer Plätze benachteiligen. In demselben Geiste badischer Engherzigkeit war der weitere Antrag, daß den Grenzstaaten gestattet werde, von allen Waren, welche der Verein zollfrei einlasse, Zölle für ihre eigne Rechnung zu erheben. Sofort widersprachen alle rückwärts liegenden Staaten. Auch bei der Verteilung der allgemeinen Zolleinnahmen vergaß Nebenius den Vorteil Badens nicht, das allerdings unter den Bundesgenossen die reichsten Zolleinkünfte besaß. Er verlangte als Maßstab: die Kopfzahl und die Länge der Grenzen, welche jeder Staat zu bewachen habe. Ebenso dreist bestand Bayern auf seinem Interesse: man müsse einen Durchschnitt suchen aus der Kopfzahl und dem Umfange des Gebiets — weil Bayern dünner bevölkert war als die Nachbarlande.
Die gesetzgebende Gewalt wollte Nebenius einer Konferenz von Bevollmächtigten anvertrauen, die alljährlich zusammenzutreten und mit einfacher Mehrheit zu beschließen hätte. Der Münchener Hof aber war nicht geneigt, sich den kleinen Mitverbündeten also zu unterwerfen; Aretin trug das Selbstgefühl der Macht rücksichtslos zur Schau und forderte für jede halbe Million eine Stimme — das wollte sagen: die Stimmenmehrheit für Bayern allein — was wieder von du Thil und den anderen Kleinen als »ein allzu naiver Versuch« zurückgewiesen wurde. Die Zollverwaltung endlich sollte von einem gemeinsamen Beamtentum geführt, durch eine permanente Kommission beaufsichtigt werden. Seltsamerweise erregte diese Zentralverwaltung zunächst geringen Anstoß. Die schwäbische Bureaukratie sprach sogar lebhaft dafür. Dem allmächtigen Stande der württembergischen Schreiber blieb der Verein unheimlich, der so viele Schreiberstellen aufzuheben drohte. Indes wenn sich das Unheil nicht abwenden ließ, so erschien die Zentralverwaltung als das geringere Übel; sie mußte doch aus jedem Staate eine zahlreiche Beamtenschar anstellen. Behielten dagegen die Staaten ihre selbständige Zollverwaltung, so hatte Württemberg nur zwei Grenzmeilen am Bodensee zu überwachen, und die ganze Herrlichkeit der königlichen Mautverwaltung brach zusammen!
Die Verhandlung über jene Streitfragen ward bald gereizt
und gehässig. Nebenius sprach in seinen Berichten mit sehr
ungerechter Bitterkeit über die Gegner, die doch vielfach wohlbegründeten
Einspruch erhoben. Zudem vertrat noch jeder
Staat seine eigentümlichen Wünsche. Reuß und Weimar
wollten das Geleitsgeld für ihre imaginären Harnischreiter
nicht ohne Entschädigung aufgeben. Der Kurfürst von Hessen
weigerte sich, seine Transitzölle dem Vereine zu überlassen,
forderte zum mindesten ein Präzipuum
Nachdem man sechs Monate auf die bayrischen Instruktionen gewartet, erklärte endlich (Juli 1821) der bayrische Bevollmächtigte, sein Hof verlange, daß das bestehende bayrische Zollgesetz dem Vereine zur Grundlage diene. So begann der trostlose Streit von neuem. Darauf, nach anderthalb Jahren, bot sich eine Gelegenheit, die Lebenskraft des Vereines zu erproben. Frankreich erließ am 23.–April 1822 ein neues Douanengesetz, das die Interessen der oberdeutschen Staaten offenbar feindlich verletzte, die wichtigsten Gegenstände der Einfuhr aus Süddeutschland, Schlachtvieh und Wolle mit unerschwinglichen Zöllen belegte. Der Schlag traf fast alle süddeutschen Lande gleichmäßig; sollte nicht mindestens gegen diesen Angriff gemeinsame Abwehr möglich sein? Man verhandelte und verhandelte. Baden verbot (17.–Mai) die Weineinfuhr auf seiner Westgrenze; Württemberg schloß sich diesen Retorsionen an; mit Bayern war keine Verständigung zu erzielen. In seiner Not wendete sich Berstett an Metternich, bat die Hofburg um ihre guten Dienste in den Tuilerien. Nach fast zwei Monaten (12.–August) erwiderte der Österreicher: »es ist kaum zu erwähnen nötig, wie sehr bereit wir sind«, den deutschen Bundesstaaten jede Gefälligkeit zu erweisen; aber das französische Gesetz ist das Ergebnis der nationalen Meinung und eines »national-ökonomischen Systems, das faktisch das Lieblingssystem unserer Zeit geworden ist.« Das war die Hilfe, welche Deutschlands Volkswirtschaft von Österreich zu erwarten hatte! Zuletzt riefen die unsicheren, vereinzelten Retorsionen der süddeutschen Höfe nur einen neuen gehässigen Zank zwischen Bayern und Baden hervor; denn da die bayrische Pfalz keine Mauten besaß, so mußte Baden, um die französischen Weine wirksam zu treffen, auch die Weineinfuhr vom bayrischen Überrhein verbieten, was wieder bayrische Klagen veranlaßte — und so weiter ins Unendliche.
Gegen den Herbst 1822 schienen die Verhandlungen
wieder vorwärts zu rücken. Bayern, ermutigt durch einen
Die preußische Regierung sah diesen wohlgemeinten aber
aussichtslosen Verhandlungen gelassen zu, da sie sich mit
jedem Jahre mehr von der Lebenskraft ihres eigenen Zollgesetzes
überzeugte, und ließ sich in ihrer kühlen Geringschätzung
nicht stören, als die landesüblichen Kraftreden wider
Preußens Zollsystem auch auf der Darmstädter Konferenz
erklangen. Eine Denkschrift des Auswärtigen Amtes bemerkte
darüber späterhin trocken: »Man wählte in Darmstadt Preußen
zum Stichblatt, weil man dadurch die öffentliche Meinung
gewann und seine eigenen Pläne leichter durchsetzen konnte.«
Metternich hingegen, der den Darmstädter Plänen keinen
fruchtbaren Gedanken entgegenzustellen wußte, ward der Sorgen
nicht ledig. Schon vor Eröffnung der Konferenzen
ermahnte er Berstett, mindestens den Einfluß der Subalternen
und der Landstände fern zu halten. Zugleich mußte Marschall
gegen den Karlsruher Hof den Verdacht äußern, ob vielleicht
Nebenius selber zu den verkappten Demagogen gehöre. Der
badische Minister versuchte seinen Gönner zu beschwichtigen
und gab an Nebenius gemessene Weisung, sich vor allen politischen
Nebengedanken zu hüten: »Auch aus dem Einfachsten
wird Gift gesogen. Rücksichten, die mehr gefühlt als bezeichnet
werden können, verbieten, den Landtagen irgendwelche
Einwirkung zu gestatten.« Gleichwohl blieb Metternich
argwöhnisch, und sein Marschall gestand ihm wehmütig: da
der Kaufmann mit seinem beweglichen Kapitale leider nicht
einem, sondern allen deutschen Staaten angehöre, so könne
die Handelssache von den Revolutionären allerdings leicht
für ihre Einheitsträume ausgebeutet werden. Selbst der
unverkennbare Mißerfolg der Konferenzen beruhigte die
Leiter der deutschen hohen Polizei nicht: dieser Verschwörer
Wangenheim war überall, selbst das badische Land sollte er
Am 3. Juli 1823 erklärte schließlich du Thil den Austritt seines Großherzogs aus der Darmstädter Konferenz, weil Hessen außerstande sei, die Ordnung seines Zollwesens noch länger zu verschieben. Nassau folgte dem Beispiele. Darauf weigerte sich Bayern, ohne Darmstadt weiter zu verhandeln; unter lebhaften gegenseitigen Anklagen ging der Kongreß auseinander, nach drei Jahren unerquicklichen Streites. Er scheiterte an der Unmöglichkeit, abweichende Interessen in engem Rahmen zusammenzuhalten.
Quelle: H. v. Treitschke, Deutsche Geschichte usw. III, 302 ff.
In das achte Jahr hinein hatte Minister Klewiz sein schweres
Amt ertragen, mit unwandelbarer Geduld die große
Steuerreform aufrecht gehalten wider zahllose Angriffe von
innen und von außen. Aber das Defizit vermochte er nicht zu
beseitigen, trotz allen neu angeordneten Ersparnissen; denn
er begnügte sich mit einer bescheidenen Stellung, die es ihm
unmöglich machte, den Staatshaushalt vollständig zu übersehen.
Er trug vor der Welt die Verantwortung für das gesamte
Finanzwesen; und gleichwohl verfügte Ladenberg
Der König ließ darauf (12. Dezember) den vier Präsidenten Schön, Vincke, Motz und Schönberg den Entwurf des neuen Etats zusenden mit der Anfrage: welche Bedenken sie dawider hätten und welche besonderen Befugnisse sie für den künftigen Finanzminister noch verlangten, damit er das Gleichgewicht wieder herstellen könne. Jeder der vier sollte antworten, als ob er selber zur Übernahme des Finanzministeriums bestimmt sei; keiner durfte von der Befragung der anderen etwas erfahren … Nur Motz traf in seiner Antwort mit sicherer Hand den eigentlichen Sitz des Übels, den Dualismus der Finanzverwaltung. Er forderte für den Minister kurz und gut Sitz und Stimme in der Generalkontrolle, so daß auch die Ausgabeetats nicht ohne seine Genehmigung zustande kommen könnten; sodann ganz freie Hand bei der Auswahl seiner Räte, endlich Zentralisation des Kassenwesens. In zwei weiteren Denkschriften … verlangte er ferner die Aufstellung völlig zuverlässiger Etats und erklärte sich entschieden gegen die Wiedereinführung der Provinzialministerien. Denn neben solchen Unterministern sei ein mächtiger Finanzminister unmöglich; dieser müsse unmittelbar an der Verwaltung teilnehmen, um »unverbesserliche Mißgriffe, Einseitigkeit und Indolenz« zu verhüten: »er kann nicht darauf beschränkt bleiben, durch Etats und Verwaltungsnormen nur die Zukunft nach seinen Ansichten zu regeln; auch kann es ihm nicht helfen, die Vergangenheit nach toten Zahlen zu meistern«. —
Die Entscheidung konnte nicht zweifelhaft sein … Der König entschied sich für Motz. Er ahnte in jenem Augenblicke selber nicht, wie segensreich dieser Entschluß auf den Gang der deutschen Geschichte einwirken sollte.
Motz stand in seinem 50. Jahre, als er am 1. Juli 1825
sein Amt übernahm, der einzige Staatsmann in einem Kabinett
von Geschäftsmännern
Als Präsident in Erfurt half er nachher, jenen Zollvertrag
mit Sondershausen abschließen, der so vielen anderen zum
Vorbilde dienen sollte. Hier in Thüringen trat ihm die ganze
Hilflosigkeit der deutschen Kleinstaaterei vor Augen. Grenzenlos
war seine Verachtung gegen die kleinen Höfe. Er kannte
ihre Gesinnung genugsam aus den Schicksalen seiner eigenen
Familie, die unter dem Geize des hessischen Kurfürsten
schwer zu leiden hatte, und lernte sie noch richtiger schätzen,
als der König ihn einmal nach Kassel sendete, um die ehelichen
Zwistigkeiten im hessischen Hause — natürlich ohne Erfolg — zu
beschwichtigen. Ein stolzer Preuße von Grund aus,
freimütig, selbständig in allem, wollte er das Lob Österreichs,
das in den Beamtenkreisen gesungen wurde, niemals gelten
lassen: pfui über diese faule, unwissende, unredliche k. k.
Motz wollte die Stein-Hardenbergischen Reformen bis in die letzten Konsequenzen vollendet sehen: eine neue Landgemeindeordnung sollte ergänzend neben die Städteordnung treten, die Ablösung der Grundlasten vollständig ausgeführt, auch die Ausgleichung der Grundsteuer vollzogen werden — um der Gerechtigkeit willen, selbst wenn der Staat dabei Verluste erlitte …
Während seiner angestrengten Verwaltungstätigkeit in Erfurt und nachher als Oberpräsident in Magdeburg entstanden die Denkschriften über die Abrundung des preußischen Staatsgebietes, über den Anschluß der kleinen Kontingente an das preußische Heer, über die Reform der Verwaltung. Diese rasch hingeworfenen Arbeiten zeigen schon sein ganzes Wesen: weiten, scharfen Blick, vorurteilsfreien, hochherzigen Patriotismus, aber auch einen Zug von genialem Leichtsinn, der notwendig zu seinem Bilde gehört. Ohne solche Lust am kecken Wagen und Pläneschmieden hätte er schwerlich die Kraft gefunden, in einer Epoche der Ermattung und Entsagung den Neubau des deutschen Staates vorzubereiten. Die ihm näher standen, empfingen den Eindruck, daß hier eine groß angelegte Natur, ein gedankenreicher, unruhiger, überaus produktiver Kopf in allzu engem Wirkungskreise sich aufzureiben drohte. Der Mann bedurfte einer großen Tätigkeit, wenn die Ideen, die in seinem Geiste gärten, sich abklären, wenn sein starker Ehrgeiz und seine frohe Willenskraft sich frei entfalten sollten.
Um das Defizit zu beseitigen, hatte der König den neuen
Minister berufen. Die glückliche Lösung dieser nächsten Aufgabe
Einen minder mutigen Mann hätte die Lage des Marktes
wohl erschrecken können. Zur selben Zeit, da Motz ins Amt
trat, brach über England eine furchtbare Handelskrisis herein,
eine der schwersten Erschütterungen, welche die Handelsgeschichte
kennt. Die Eröffnung des südamerikanischen Marktes
hatte eine fieberische Spekulation erweckt, welcher nun der
natürliche Rückschlag folgte: in fünf Vierteljahren stürzten
mehr als 70 Banken und an 3600 Geschäftshäuser zusammen.
Auch Deutschland blieb von dem Unheil nicht verschont, wie
bescheiden auch sein Anteil am Weltverkehr noch war: die
große Firma Reichenbach in Leipzig und einige der ersten
Häuser Berlins gingen zugrunde. Doch was bedeutete diese
Bedrängnis des Geldmarkts neben der namenlosen Not
des deutschen Landbaues, die wie alle landwirtschaftlichen
Krisen ungleich langsamer überwunden wurde? Die Hungerjahre
waren kaum überstanden, da fielen die Preise aller landwirtschaftlichen
Erzeugnisse schnell und anhaltend. Die Zollgesetze
des Auslandes und der elende Zustand der Straßen
hemmten die Abfuhr der überreichen Ernten; selbst die
technischen Fortschritte, welche die deutsche Landwirtschaft
ihren Lehrern Thaer und Schwerz verdankte, wirkten für
jetzt nachteilig, da die Konsumtion dem gesteigerten Angebot
so rasch nicht zu folgen vermochte. Der Wert der Grundstücke
Dann erlangte Schön
Mit dieser fast unbeschränkten Vollmacht schritt Schön ans Werk. Das Schicksal des altpreußischen Adels lag in seiner Hand. Abermals, und noch stürmischer, als vor Jahren bei der Verteilung der ersten Kriegsentschädigungsgelder, drängte sich alles um die Gunst des Beherrschers der Provinz. Er tat sein Bestes, viele wackere Männer vom Landadel verdankten allein seiner Fürsorge die Erhaltung ihres Besitzes; wo er aber die Lage für hoffnungslos hielt, da ließ er die Landschaft unerbittlich zur Subhastation schreiten. So geschah es, daß unter der Mitwirkung dieser wohlwollenden Regierung die Grafen Schlieben, die Grafen Goltz und viele andere angesehene Adelsgeschlechter von Haus und Hof verjagt wurden — die meisten schuldlos, denn der letzte Grund ihrer Not lag doch in den patriotischen Opfern der Kriegszeit. Hunderte von Landgütern wurden versteigert, einmal ihrer 218 fast zu gleicher Zeit; das unmäßige Angebot drückte die Preise so tief herab, daß die Landschaft selber nur durch Zuschüsse des Staates sich behaupten konnte. In manchen Teilen der Provinz wechselte die volle Hälfte der großen Güter ihren Besitzer …
Mit diesen traurigen Wirren hatte der Finanzminister
unmittelbar nichts zu schaffen, aber an dem Ertrage der
Abgaben lernte er die Not der Landwirtschaft nur zu gründlich
kennen, obwohl der König bei allen seinen Unterstützungen
streng den Grundsatz einhielt, daß auch dem Bedürftigsten
niemals ein Nachlaß an den Staatssteuern bewilligt werden
dürfe. Um die Schwierigkeiten zu bemeistern, wollte Motz
zunächst die Lage des Staatshaushalts genau übersehen und
erneuerte daher seine alte Forderung, daß der Finanzminister
Seit Stein im Frühjahr 1807 aus ähnlichem Anlaß ungnädig
entlassen worden, hatte kein Minister mehr gewagt,
in diesem Tone zu reden; selbst Hardenberg hatte nur einmal,
als er auf die Zustimmung des Königs sicher rechnen konnte,
leise mit einem Abgang gedroht. Friedrich Wilhelm brauchte
auch volle vier Monate, bis er dem neuen Minister sein
selbstbewußtes Auftreten ganz verzieh. Dann aber hatte er
sich durch Lottums Vorträge von der Unhaltbarkeit des bestehenden
Dualismus gründlich überzeugt, und da er seine
bureaukratischen Hartköpfe kannte, so ging er nunmehr sogleich
weit über die Vorschläge des Finanzministers selber
hinaus. Am 8. April 1826 überraschte er diesen durch die
willkommene Mitteilung: er denke die Generalkontrolle ganz
aufzuheben, ihre Geschäfte dem Finanzministerium zu übertragen.
In jedem Zweige des Finanzwesens spürte man die
rüstigen Hände des neuen Leiters. Durch eine gründliche
Reform der Kassenverwaltung verschaffte er sich einen genauen
Überblick über alle Bestände. Das Steuerwesen ließ
er in den Händen Maaßens, des Urhebers der neuen Zollgesetzgebung.
Die beiden galten in der Beamtenwelt als
Nebenbuhler, aber sie wurden Freunde. Maaßen fügte sich
gern der raschen Entschlossenheit des jüngeren Vorgesetzten,
und dieser wußte wohl, was er der Umsicht und Sachkenntnis
des Generalsteuerdirektors verdankte. »Alles mit Maaßen«,
sagte er lächelnd, wenn ihn der besonnene Freund von einem
übereilten Wagnis zurückgehalten hatte. Unter Maaßen
arbeitete der geistreiche Ludwig Kühne
In den Provinzen war das Steuerwesen bisher von den
Zu ihrer Ergänzung unternahm Motz die Neugestaltung der Domänenverwaltung, die unter dem Drucke der großen landwirtschaftlichen Krisis ganz in Verwirrung geraten war. Der Minister selbst und der neue Direktor des Domänenwesens, Keßler, bereisten persönlich sämtliche Domänen und Forsten der Monarchie, überall jubelnd empfangen von der Jägerei und den Pächtern, die es kaum fassen konnten, daß die Herren in Berlin sich endlich einmal ihrer Not annahmen. Dann überwies Motz, um mit dem alten Jammer aufzuräumen, alle Rückstände einer besonderen Verwaltung und schloß für das gesamte Domanium neue, billigere Pachtverträge, welche streng eingehalten wurden, aber hunderte von Pächtern vor dem Untergange bewahrten. Mit der Veräußerung der Domänen verfuhr er sehr vorsichtig; nur in Westpreußen und Posen ließ er zahlreiche Vorwerke an deutsche Kolonisten veräußern, »um einen selbständigen und der Regierung anhänglichen Bauernstand zu bilden«.
Das Beste blieb doch, daß man nun endlich wußte, woran
Seitdem war Motz der Achtung des Königs sicher. Bei Hofe betrachtete man ihn als einen Emporkömmling, da sein altes hessisches Adelsgeschlecht im preußischen Dienste neu war. Die Partei Wittgensteins [des Polizeiministers] witterte bald den Liberalismus des Ministers heraus; Lottum aber und die anderen Anhänger der unbedingten Sparsamkeit tadelten seinen Leichtsinn, weil er mit den steigenden Einnahmen auch das knappe Ausgabenbudget allmählich um etwa 900000 Taler erhöhte. Wagten sich solche Vorwürfe aus dem Dunkel heraus, dann rechtfertigte er sich stets freimütig vor dem Könige selbst, denn ohne das Vertrauen des Monarchen könne der Finanzminister als Aufseher der gesamten inneren Verwaltung nicht bestehen …
In den letzten Jahren hatte Preußens Handelspolitik
auch den kleinen Nachbarn gegenüber nur wenig Erfolge
errungen. Die von preußischem Gebiete umschlossenen Kleinstaaten
Sobald Motz sich in seinem neuen Amte zurecht gefunden
hatte, erklärte er dem auswärtigen Amte: Preußens Langmut
In einem herzbrechenden Klageschreiben sprach Herzog
Leopold von Dessau, der mit einer Nichte des Königs verheiratet
war, dem Oheim sein Bedauern aus: schon vor
Jahren habe er dem Köthener Vetter versprochen, nicht ohne
ihn beizutreten. Das preußische Ministerium verlange, »daß
die enklavierten Staaten fremde Gesetze und Verwaltungsformen
unweigerlich annehmen müssen. Dies aber, Allergnädigster
König, ich wage es vertrauensvoll auszusprechen, wollen
Allerhöchstdieselben nicht. Preußens mächtiger und gerechter
Monarch, der im zweiten Artikel der Bundesakte Souveränität
und Unabhängigkeit garantierte, wird nie gestatten, daß die
Minister durch strenges Festhalten am Buchstaben des Bundesvertrages
den Geist, der sichtbar in demselben waltet, ertöten,
daß aus dem ersteren ein Rechtstitel für faktischen Zwang
entlehnt werde. Wenn ich so das kleine, auf mich gekommene
Erbe meiner Ahnen, das, erhört Gott meine und meiner
vielgeliebten Gemahlin Gebete, der Urenkel eines Königs
aus meiner Hand erhalten wird, vor E. K. Maj. Herzen und
Allerhöchstihren mir und meiner Gemahlin bewiesenen väterlichen
Der König befahl nunmehr, dem Froschmäusekrieg ein
Ende zu machen und das anhaltische Land mit der gefürchteten
»Polizeilinie« zu umgeben, aber zugleich die beiden
Herzöge nochmals zu Unterhandlungen einzuladen. Im
März 1827 wurde die Elbe oberhalb und unterhalb Anhalts
gesperrt, von den eingehenden Schiffen die vorläufige Zahlung
der preußischen Zölle gefordert unter Vorbehalt der
Rückvergütung, falls die Waren wirklich in Anhalt verblieben.
Sofort sendete der Köthener Herzog einen Leutnant
mit einem Ultimatum nach Berlin; sei es, daß er einen
höheren militärischen Würdenträger nicht in seinem Vermögen
hatte, oder daß er Preußen verhöhnen wollte. Der
tapfere Leutnant forderte drohend die Zurücknahme der
Maßregeln binnen acht Tagen, sonst werde Köthen zu ernsteren
Mitteln greifen. Natürlich erhielt er keine Antwort;
Eichhorn und Heinrich v. Bülowcette affaire ennuyante, wie Bernstorff zu
Die kleinen Höfe ergriff ein jäher Schrecken, da sie so
unsanft an die natürlichen Schranken ihrer Souveränität erinnert
wurden. In einem verzweifelten Briefe fragte Großherzog
Georg von Strelitz seinen königlichen Schwager, ob
er denn wirklich den Bestand des Deutschen Bundes gefährden
wolle. Friedrich Wilhelm aber ließ sich nicht beirren. Er
sendete dem Schwager (Juli 1827) eine Denkschrift, welche
nochmals die ganze Nichtswürdigkeit der anhaltischen Schleichhandelspolitik
darstellte, und sagte: daraus möge er lernen,
»daß das Interesse meiner Untertanen die getroffenen Maßregeln
gebieterisch erheischte, daß ich dazu vollkommen berechtigt
war, und daher weder die Aussprüche der Bundesversammlung
noch das Urteil des Publikums in und außer
Deutschland, sondern nur die Nachgiebigkeit der anhaltischen
Fürsten eine Änderung hervorbringen können.« Dann hob
er mit seinem geraden Verstande noch einmal den Kern des
Mittlerweile begannen die beiden bedrängten Kleinfürsten
doch zu merken, daß sie den ungleichen Kampf nicht
durchführen konnten. Sie beschlossen, ihr verpfändetes Wort
endlich einzulösen, und erklärten sich zu Unterhandlungen
bereit. Am 17. Juli 1828, nach neunjährigen Schmuggelfreuden,
traten Dessau und Köthen dem preußischen
Zollsystem bei. Beide Landesherren bedauerten in gefühlvollen
Manifesten, ihre geliebten Untertanen so schwer belasten
zu müssen; der Köthener berief sich auf »unabwendbare
Umstände«, der aufrichtigere Dessauer — mit jener zynischen
Gemütlichkeit, die dem deutschen Kleinfürsten nicht verargt
wird — auf »die Interessen seines Kammerhaushalts«.
Alle diese Enklavenverträge gewährten den kleinen Höfen
einen nach der Volkszahl abgemessenen Anteil am Ertrage
der preußischen Ein- und Ausfuhrzölle, außerdem noch
allerhand Ehrenrechte — das Landeswappen neben dem
preußischen für die Zollämter und was der Eitelkeiten mehr
war — aber durchaus keinen Anteil an der Zollgesetzgebung.
Nur Dessau und Köthen behielten sich das Recht des Widerspruchs
vor, falls die Grundsätze und Grundlagen des Zollgesetzes
verändert würden — ein Satz, der glücklicherweise
gar nichts bedeutete. Ebenso harmlos war die Klausel, wonach
Dessau und Bernburg nur für sechs Jahre beitreten
sollten. Motz und Eichhorn wußten wohl, wie wenig an einen
Wiederaustritt zu denken sei; so gönnte man den Kleinen
das erhebende Bewußtsein, daß sie sich nicht für ewige Zeiten
unterworfen hätten. In der Tat begann in den anhaltischen
Ländern der ehrliche Erwerb wieder zu gedeihen, und bald fühlte
jedermann, die natürliche Ordnung der Dinge sei hergestellt.
Noch während diese anhaltischen Händel schwebten, eröffnete sich für Preußen plötzlich die Aussicht, auch größere deutsche Staaten in seine Zollgemeinschaft aufzunehmen. Gewitzigt durch die niederschlagenden Erfahrungen der Wiener Konferenzen, hatte der Berliner Hof während der letzten Jahre gelassen abgewartet, ob die Not der Finanzen einen der Mittelstaaten bewegen würde, sich freiwillig dem preußischen Zollsystem anzuschließen. Eine solche Politik gewährte zugleich den Vorteil, daß Preußen verschont blieb vor den unzähligen Zollvereinsplänen, welche gleich Nebelgestalten, rasch gebildet und rasch zerfließend, an den kleinen Höfen auftauchten und oftmals auch an die preußischen Gesandten herantraten. Leichtfertiges Pläneschmieden war von jeher das Vorrecht der Ohnmacht. Ein Staat, der eine große nationale Idee vertrat, durfte auf die Mückenseigerei nassauischer und meiningischer Staatsdilettanten sich nicht einlassen. Ein einziger von Preußen übereilt abgeschlossener Zollvertrag, der die Probe nicht bestand und sich wieder auflöste, hätte die Höfe wie die Nation vollends abgeschreckt und die preußische Handelspolitik auf Jahre hinaus gelähmt. Nur wenn ein Mittelstaat, Dünkel und Mißtrauen überwindend, selber in Berlin positive Anerbietungen stellte, dann allein ließ sich glauben, daß er durch gewichtige Interessen bestimmt werde und ein dauerhafter Bund möglich sei.
Aus dem Ränkespiel Adam Müllers erfuhr man überdies,
welche Kräfte an den kleinen Höfen ihr Wesen trieben
und beschloß daher, alle Verhandlungen über Zollsachen
nur in Berlin zu führen. Nur in Berlin fanden sich die kundigen
Fachmänner, deren, und das reiche statistische Material,
dessen man zur Lösung so vieler verwickelten Einzelfragen
bedurfte. Nur hier war man leidlich gesichert gegen die
Umtriebe der Hofburg, wie gegen die Vorurteile der kleinen
Dynastien. Der Aufenthalt in einem ernsten Gemeinwesen
übt immer einen wohltätig ernüchternden Einfluß,
und selbst in jener stillen Zeit bewährte Preußen diese
erziehende Kraft. In den Gesandtschaftsberichten läßt sich
deutlich verfolgen, wie die kleinen Diplomaten stets mit
mißtrauischem Zagen den verrufenen Berliner Boden betraten
und schon nach wenigen Monaten ein unbefangenes,
ja wohlwollendes Urteil über die preußischen Dinge sich
Sodann lernte man aus dem unglücklichen Verlaufe der Darmstädter Zollkonferenzen, daß Zollverhandlungen mit mehreren Staaten zugleich, bei der großen Verschiedenheit der Interessen, keinen Erfolg versprechen. Seitdem stand in Berlin der Entschluß fest, immer nur mit einem einzelnen Staate über Zollfragen zu verhandeln, mit mehreren nur dann, wenn diese sich bereits zu einer handelspolitischen Einheit verbunden hätten. Diese streng eingehaltene Regel erlitt eine einzige Ausnahme. Die kleinen thüringischen Lande konnten vereinzelt weder eine Zollgrenze bewachen, noch als Träger eines handelspolitischen Interesses gelten. Darum hatte das Berliner Kabinett schon im Jahre 1819 dem Gothaer Hofe die Bildung eines thüringischen Vereins empfohlen — ein Vorschlag, dessen Berechtigung selbst auf den Darmstädter Konferenzen von dem sachkundigen badischen Bevollmächtigten anerkannt wurde. Allen anderen Staaten gegenüber blieb der Grundsatz der Einzelverhandlungen aufrecht.
Über die handelspolitischen Pläne der Mittelstaaten war
der Berliner Hof sehr genau unterrichtet; denn an mehreren
der kleinen Höfe bestand eine einflußreiche preußische Partei,
in München und Stuttgart mindestens ein tiefer Groll gegen
Österreich, der unseren Geschäftsmännern zustatten kam.
Dazu der landesübliche Nationalhaß des Nachbars gegen
den Nachbar; wie ließ sich ein Geheimnis bewahren, wenn
heute ein darmstädtischer, morgen ein badischer Minister
sich gedrungen fühlte, seine gerechte Entrüstung über Bayerns
oder Württembergs anmaßende Vorschläge in den schweigsamen
Busen des wohlwollenden preußischen Gesandten aus
zuschütten? Der Karlsruher Posten diente als die beste
Warte, um den Wandel der kleinen Gestirne zu beobachten.
Die Teilnahme Preußens an dem geplanten süddeutschen
Zollverein befürwortete in Berlin niemand, weil man ihn
für hoffnungslos hielt. Dagegen wurde wiederholt und ernstlich
die Frage erwogen: unter welchen Bedingungen Preußen
mit größeren Nachbarstaaten einen Zollbund abschließen
könne? Klewiz beantwortete sie in einem Gutachten vom
Im Jahre 1824 verhandelten die drei Ministerien des
Auswärtigen, des Handels und der Finanzen nochmals über
die Frage, »wie sich Preußen bei den Zollvereinsunternehmungen
zu verhalten habe.« Geh Rat Sotzmann, der
Sohn des bekannten Geographen, eines der ersten Talente
der Finanzverwaltung, und H. v. Bülow faßten das Ergebnis
der Beratung in einer großen Denkschrift zusammen, welche
schon mehrere Hauptgrundsätze der späteren Zollvereinsverfassung
aufstellte. Sie erklärten: der Anschluß an Preußen
könne auf zwei Wegen erfolgen — entweder durch vollständige
Unterwerfung, wie sie in Bernburg geschehen sei,
oder durch eine freiere Verbindung. Einem größeren Staate
dürfe nur die letztere zugemutet werden; doch müsse er
jedenfalls seine Zölle und Konsumtionssteuern den preußischen
gleichstellen. Der Unterschied von »Zollanschluß« und »Zollverein«
war also schon damals den preußischen Staatsmännern
geläufig, wenngleich sie die modernen Schulausdrücke noch
nicht gebrauchen. Da der Beitritt etwa von Kurhessen »nur
soviel Zuwachs bringt als ein einziger unserer Regierungsbezirke
ausmacht«, so kann der Berliner Hof die Entwicklung
seines Zollwesens von der Zustimmung eines solchen Bundesgenossen
nicht unbedingt abhängig machen. Daher soll
Preußen sich nur auf eine Reihe von Jahren binden, um bei
Ablauf der Frist über Änderungen und Zusätze sich von neuem
zu vereinbaren. Man verzichtet mithin auf jedes Vorrecht,
Leider hatten diese verständigen Grundsätze für den Augenblick
gar keine Wirkung; denn die Verfasser der Denkschrift
hielten sich noch buchstäblich an das Programm von 18l9.
Sie wollten in gerader Linie »von Grenze zu Grenze« vorgehen,
von dem nächsten Nachbar zu dem entfernteren. Was
schien auch einfacher als der Plan, zunächst die angrenzenden
Staaten zu gewinnen, die im unmittelbaren Bereich
der preußischen Macht lagen, und dann erst zu versuchen,
ob das geeinte Norddeutschland vielleicht mit dem Süden
sich verständigen könne? Und doch war dieser gerade Weg
ganz ungangbar. Die Denkschrift selber gesteht, daß der
Erst durch Motz wurde der Bannkreis dieser norddeutschen
Ideen durchbrochen. Hierin und in der Beseitigung des Defizits,
die eine Handelspolitik großen Stils erst ermöglichte,
liegt sein bleibendes Verdienst. Er zuerst unter den preußischen
Staatsmännern verfiel auf die Frage: ob nicht in dem wunderlichen
Durcheinander unserer Kleinstaaterei der Umweg vielleicht
rascher zum Ziele führe als die gerade Linie? ob man
nicht die Nachbarn, die nicht zu überzeugen waren, vielmehr
umgehen und umklammern müsse? Der kühne Spieler
kam mit seinen Bauern auf dem Brette nicht vorwärts und
ließ darum die Springer vorgehen. Er faßte sich das Herz,
sobald eine günstige Stunde kam, über Kurhessen und die
anderen unmittelbaren Nachbarn hinweg den süddeutschen
Staaten die Hand zu reichen. In einer Zeit, da die amtliche
deutsche Welt den ewigen Bund zwischen Österreich und
Preußen für ein unverbrüchliches Gesetz ansah, ging er geradeswegs
auf das Ziel los, das gesamte Deutschland mit Ausschluß
Österreichs durch das unzertrennliche Band wirtschaftlicher
Interessen unter der Führung Preußens für immer zu vereinigen
und also die Befreiung von der Herrschaft des Hauses
Lothringen vorzubereiten. Sobald dieser Entschluß feststand,
Quelle: H. v. Treitschke, Deutsche Geschichte usw. III, 453 ff., 477 ff.
Als die Darmstädter Konferenzen im Sterben lagen, gaben die kleinen thüringischen Staaten die Erklärung ab: wenn man in Darmstadt sich nicht vereinige, so sähen sie sich genötigt, einen bereits verabredeten bedingten Vertrag auszuführen und »einen in sich geschlossenen Handelsstaat« zu bilden — »eine Selbsthilfe, welche das Bild der Zwietracht, das Deutschlands Staaten darstellen, zur höchsten Vollendung zu bringen gemacht wäre.« Und wahrlich, der Süden bot einen jammervollen Anblick nach dem Abbruch der Darmstädter Verhandlungen. Jedes Kabinett ging trotzig und verstimmt seines eigenen Weges. Die darmstädtische Regierung versuchte noch einmal (Februar 1824), die oberrheinischen Höfe zur Annahme gleichförmiger Zollgesetze zu bewegen; da dies mißlang, gab sie ihrem Lande eine selbständige Zollordnung, welche, dem Volke verhaßt, kaum 80000 Gulden jährlich einbrachte. Der kluge du Thil hatte diesen armseligen Ertrag vorhergesehen, er wollte sich aber für künftige Zollverträge ein Unterhandlungsmittel sichern. Auch Württemberg führte im selben Jahre ein neues Zollgesetz ein, das dem bayrischen nahe stand. Das Schmuggelgeschäft in Frankfurt und in Baden blühte wie nie zuvor. Törichte Retorsionen belästigten den Verkehr. Als Württemberg mit der Schweiz über einen Handelsvertrag verhandelte, sendete Baden sofort einen Bevollmächtigten nach Zürich, um den Fortgang des Geschäftes argwöhnisch zu beobachten. In der Schweiz herrschte dasselbe Elend germanischer Zersplitterung; konkordierende und nicht konkordierende Kantone fanden des Haders kein Ende, die Verhandlungen rückten kaum von der Stelle.
Nur der Stuttgarter Hof gab in diesem Zeitraum allgemeiner
Immerhin hatten die Darmstädter Beratungen die Lage
etwas geklärt. Süddeutschland zerfiel in zwei Gruppen. Die
beiden Königreiche auf der einen, die Rheinuferstaaten auf
der anderen Seite, waren sich der Gemeinschaft ihrer Interessen
bewußt geworden. Eben diese Sonderung zweier Gruppen
führte dann zu neuen Einigungsversuchen. Baden
schloß mit Darmstadt (10. September 1824) einen Vertrag,
der den eigenen Produkten der beiden Staaten einige Erleichterung
gewährte, und sendete sodann seinen Nebenius
zu gleichem Zwecke nach Württemberg. Der badische Bevollmächtigte
ward in Stuttgart sehr unfreundlich aufgenommen
und wochenlang hingehalten, da der württembergische Unterhändler
stets zur unpassenden Stunde unwohl wurde. Gekränkt
und verstimmt dachte er schon heimzureisen; da erfuhr
er endlich, daß Württemberg inzwischen schon eine neue
geheime Verhandlung mit Bayern begonnen habe. Die Nachricht
von dem badisch-hessischen Vertrage hatte den Münchener
Hof mit schwerer Sorge erfüllt. Man fürchtete die Führerschaft
im Süden zu verlieren und geriet in Unruhe wegen
der Rheinpfalz; diese unzufriedene Provinz forderte dringend,
fast drohend eine Verständigung mit den Rheinuferstaaten,
die für ihr Handelsinteresse weit wichtiger seien als die
altbayrischen Lande. Überdies hatte Blittersdorff den unsterblichen
Artikel 19 und die Handelssache soeben am Bundestage
wieder zur Sprache gebracht; und obwohl dies nur ein
Zeichen der Ratlosigkeit war, so wollte doch Bayern jede Einmischung
des Bundes abschneiden. So geschah es, daß Schmitz-Grollenburgs
Schon am 4. Oktober 1824 kam dort ein vorläufiger Vertrag zustande; im folgenden Monat traten die Bevollmächtigten der beiden Königreiche in Stuttgart zusammen, um die Vereinbarung endgültig festzustellen. Gewitzigt durch den ziellosen Meinungswirrwar der Darmstädter Konferenzen, zogen Bayern und Württemberg diesmal vor, zunächst unter sich ins reine zu kommen, dann erst die kleinen Nachbarn zum Beitritt aufzufordern. Ein richtiger Gedanke, sicherlich, doch die Heimlichkeit des Verfahrens verletzte die oberrheinischen Höfe. In Karlsruhe wie in Darmstadt prahlte man gern: wir können Bayerns entbehren, Bayern nicht unser, da wir seine Verbindung mit der Rheinpfalz beherrschen. Um so bitterer empfand man das rasche Vorgehen des Münchener Hofes. Um »den Prätensionen der königlichen Höfe« entgegenzutreten, eilte Berstett nach Frankfurt, besprach sich dort mit Marschall. Gleich darauf (19. November 1824) hielten Berstett, Nebenius, du Thil und Hoffmann in Heidelberg eine geheime Zusammenkunft, welche der badische Minister selber in einem vertrauten Briefe »ein Gegengift« gegen die bayrisch-württembergischen Umtriebe nannte.
Das hier vereinbarte Protokoll, dem nachher auch Marschall
beitrat, wurde bedeutungsvoll für die Geschichte der
deutschen Handelspolitik; denn hier spielte der Partikularismus
seinen höchsten Trumpf aus, er stellte seine letzte und
schwerste Bedingung auf. Die verbündeten Staaten verpflichteten
sich, in fester Gemeinschaft vorzugehen und vornehmlich
bei dem Verlangen zu beharren, daß jeder Staat
seine Zollverwaltung selbständig führe; nur unter dieser Bedingung
sei ein Zollverein möglich. Baden, das doch in Wien
und in Darmstadt selber eine Zentralverwaltung vorgeschlagen
hatte, hielt jetzt die entgegengesetzte Forderung am hartnäckigsten
status in statu
Indessen hatten die beiden Königreiche ihren Entwurf
festgestellt und die oberrheinischen Kabinette zu Verhandlungen
über das Beschlossene eingeladen. Im Februar 1825
begannen die Stuttgarter Konferenzen — eine kläglichere
Wiederholung der Darmstädter Verhandlungen, von Haus
aus verdorben durch Groll und Mißtrauen. Daß Nassau
keinen redlichen Willen mitbrachte, errieten die preußischen
Diplomaten sofort; was ließ sich auch von diesem Bevollmächtigten,
dem hartköpfigen Partikularisten Röntgen
Den wichtigsten Streitpunkt bildete doch die Frage nach
den Formen der Verwaltung. Die königlichen Höfe verlangten
durchaus eine gemeinschaftliche Zentralverwaltung; sie trauten
den Beamten der kleineren Staaten nicht. Dem württembergischen
Finanzminister schien die getrennte Verwaltung schon
darum unzulässig, weil dann nur sehr geringe Zolleinnahmen
unmittelbar in seine Kassen fließen würden; wer bürgte
dafür, daß die Bundesgenossen ihre Überschüsse pünktlich
herauszahlten? Gereizt durch solches Mißtrauen, hielten die
Minister der Rheinuferstaaten abermals eine Zusammenkunft
in Mainz (Ende März 1825) und beschlossen, fest auf
dem Heidelberger Protokoll zu bestehen. Triumphierend
erzählte Marschall an Berstett, wie überlegen sein Herzog
Doch alsbald erhob sich ein neuer Zwist: um den Tarif — ein Streit, der bei dem grundtiefen Gegensatz der Meinungen zum Bruche führen mußte. Baden gab als höchsten Zoll für Kolonialwaren 1½ Gulden zu und hielt dies für ein großes Zugeständnis, während Bayern für Kaffee 15 Gulden forderte; Wollenwaren dachte Bayern mit 60 Gulden zu belasten, Baden bewilligte nur 8 Gulden als höchsten Satz für Fabrikate. Vergeblich beschwor Miller von Immenstadt den Karlsruher Hof um Nachgiebigkeit; das Prohibitivsystem herrsche in der weiten Welt, auch Huskisson könne mit seinen freihändlerischen Träumen nicht durchdringen. Berstett blieb fest: »Bayern, schrieb er an Marschall, verlangt, daß wir ohne Ersatz alle Vorteile unserer geographischen Lage mit ihm teilen. Der König von Württemberg stimmt den bayrischen Ansprüchen zu, um sich die Gewogenheit einer gewissen Partei zu erhalten«. Im August 1825 erklärte Baden seinen Austritt und verkündigte zugleich ein neues Zollgesetz, dessen niedrige Sätze allgemeine Freude im Lande erregten. Nassau trat ebenfalls zurück.
Auch diesmal spielten politische Bedenken mit; eine Reise
des Königs von Württemberg nach Paris erweckte die Besorgnis,
ob der Bund der Mindermächtigen vielleicht mit
französischer Hilfe ins Leben treten solle. Nebenius versicherte
späterhin, ihm habe in Stuttgart immer der Gedanke an
Deutschlands künftige Handelseinheit vorgeschwebt; hohe
Schutzzölle im Süden hätten die spätere Vereinigung mit dem
Norden erschweren müssen. Und sicherlich, wenn unter dem
So hoffnungslos war die Lage, als König Ludwig
den Thron bestieg. Groll und Erbitterung überall. Selbst
der bescheidene Handelsvertrag zwischen Baden und Darmstadt
war schon nach Jahresfrist wieder erloschen, weil die
Behörden mit den Ursprungszeugnissen freundnachbarlichen
Mißbrauch trieben. Nach dem bayrischen Thronwechsel
schöpfte König Wilhelm von Württemberg wieder frischen
Mut. Er richtete im Dezember 1826 einen Brief an seinen erlauchten
Nachbarn, schlug ihm vor, die abgebrochenen Verhandlungen
wieder aufzunehmen und zunächst einen bayrisch-württembergischen
Verein zu stiften. König Ludwig ging
darauf ein. Da die beiden Staaten schon in Darmstadt und
Stuttgart zusammengehalten hatten und ihre Zollgesetze
nur geringe Unterschiede aufwiesen, so nahmen die im folgenden
Monat zu München begonnenen Verhandlungen
günstigen, wenngleich sehr langsamen Fortgang. Am 12. April
1827 wurde ein Präliminarvertrag unterzeichnet. Man beschloß,
»die angrenzenden Staaten« zum Beitritt aufzufordern
und ihnen zugleich die politische Bedeutung dieses rein deutschen
Bundes ans Herz zu legen. Der werdende Verein war
Indes die angrenzenden Staaten hatten längst verlernt, auf einen süddeutschen Verein zu hoffen, und sie fürchteten Bayerns Führung. Am 15. Mai 1827 besprachen sich Berstett und du Thil nochmals in Heidelberg; gleich darauf sendeten die drei oberrheinischen Höfe ablehnende Antworten nach München. Berstett erwiderte schroff, Baden wolle nicht eine künstliche Industrie durch Schutzzölle großziehen. Der Nassauer Hof ließ in Stuttgart seine Verwunderung aussprechen, wie nur Württemberg ein solches »Merkantilsystem« annehmen und einem größeren Hofe sich unterwerfen könne. Hessen-Darmstadt aber, außerstande, sein drückendes und doch unergiebiges Mautwesen länger zu halten, verfeindet mit Kurhessen, voll Mißtrauens gegen die süddeutschen Nachbarn, richtete endlich bestimmte Anträge nach Berlin. Dergestalt haben jene Münchener Verhandlungen die entscheidende Wendung in der Geschichte deutscher Handelspolitik herbeigeführt — einen heilsamen Umschwung, den weder König Ludwig noch König Wilhelm beabsichtigte.
Minister du Thil, der jetzt die Finanzen und die auswärtigen
Angelegenheiten seines Großherzogtums zugleich leitete,
befand sich, wie er selbst erzählt, in verzweifelter Stimmung.
Die Finanznot stieg, das Volk murrte. Die armen Leineweber
auf dem Vogelsberge bei Alsfeld hatten durch die spanische
Revolution ihren Markt verloren, das Hinterland um Biedenkopf
fand, eingepreßt zwischen preußische Gebiete, keinen
Aber würde Preußen auf den unerwarteten Antrag eingehen?
Schon im Sommer 1825 hatte der Darmstädter Hof
einmal in Berlin angefragt, ob Preußen geneigt sei, einen
Zollverein mit beiden Hessen abzuschließen, und sofort eine
zustimmende Antwort erhalten. Nachher war Preußen aber
wieder zurückgetreten, weil Kurhessen sich dem Plane versagte,
und damals in Berlin noch die Meinung herrschte, die
Erweiterung des Zollsystems dürfe nur »von Grenze zu
Grenze«, von dem näheren Nachbarn zu dem entfernteren
vorschreiten. Aus dieser Meinung erklärte es sich auch, daß
ein halbes Jahr darauf eine zweite, sehr unbestimmt gehaltene
Von den freieren und kühneren Ansichten, welche Motz
sich inzwischen gebildet hatte, ahnte du Thil nichts. Er fühlte
sich des Erfolges so wenig sicher, daß er nicht einmal seinen
greisen Großherzog
Nunmehr weihte der hessische Minister seinen Großherzog
in das Geheimnis ein und stellte bei dem preußischen
Gesandten v. Maltzan, der trotz wiederholter Andeutungen
nicht aus seiner Zurückhaltung herausgegangen war, am
10. August 1827 die förmliche Anfrage, ob man in Berlin
geneigt sei, einen geheimen Bevollmächtigten seines Hofes
zu empfangen. Die Frage lautete noch immer unbestimmt
genug, du Thil sprach nur von gegenseitigen Handelserleichterungen.
Und selbst wenn der bedrängte Darmstädter Hof,
wie zu erwarten stand, weiter ging und zu einem wirklichen
Zollverein die Hand bot, welchen Vorteil gewährte ein solcher
Bund den Finanzen und der Volkswirtschaft Preußens? Der
kleine Staat besaß kein zusammenhängendes Gebiet, grenzte
nur auf drei Stellen, auf wenige Meilen, an preußisches
Land. Eben jetzt hoffte man in Berlin, die Verträge mit den
Enklaven endlich zum Abschluß zu bringen; gelang dies,
so war ein klarer Gewinn erreicht, die Länge der Zollgrenzen
verminderte sich von 1073 auf 992 Meilen. Trat Darmstadt
hinzu, so waren wieder 1108 Grenzmeilen zu bewachen, während
das freie Marktgebiet sich nur um 152 Geviertmeilen
Motz war gerade auf einer Dienstreise abwesend, als die
Nachrichten aus Hessen einliefen. Maaßen aber, der ihn vertrat,
durfte als schlichter Amtsverweser nur wiederholen,
was schon zweimal vom Finanzministerium erklärt worden
war: er wies die Verhandlungen über Handelserleichterungen
nicht ab, hielt jedoch einen Zollverein für unmöglich, da Hessen
allzu sehr zerstückelt sei und ein so weit abweichendes Steuersystem
besitze. Im Auswärtigen Amte dachte man mutiger.
Eichhorn fand es hochbedenklich, einen deutschen Bundesgenossen
zurückzuweisen, der in ernster Verlegenheit sich an
Preußen wende; er riet aus politischen Gründen dringend,
auf du Thils Wünsche einzugehen; nur solle nicht bloß ein
Handelsvertrag, sondern eine dauernde Verbindung geschlossen
werden. Zugleich schrieb Otterstedt
Während also die Berliner Behörden unter sich berieten, setzten Bayern und Württemberg alle Hebel ein, um den Kurfürsten von Hessen für ihren werdenden Verein zu gewinnen. Drangen sie durch, so schien die Verbindung Darmstadts mit Preußen kaum rätlich. Daher sendete du Thil den Prinzen August Wittgenstein nach Kassel, angeblich, wie er Maltzan sagte, um den Kurfürsten zu warnen vielleicht auch, um für alle Fälle gedeckt zu bleiben. Am Kasseler Hofe überwog der Widerwille gegen den konstitutionellen Süden und die Furcht vor jeder Schmälerung der Souveränität; Bayerns Bemühungen scheiterten.
Nun erst war das Feld frei. Der König erlaubte den
Beginn der Verhandlungen und am 6. Januar 1828 erschien
Staatsrat Hofmann in Berlin, derselbe, der einst bei der Begründung
der hessischen Verfassung so wirksam mitgeholfen
hatte, ein sachkundiger Geschäftsmann, von starkem Ehrgeiz,
keineswegs unempfindlich für die Vorteile, welche beim Abschluß
wichtiger Verträge dem Unterhändler zuzufallen
pflegen. Der gewandte Mann hatte verstanden, zugleich
mit den Liberalen ein gutes Einvernehmen zu unterhalten
und sich im Vertrauen seines Fürsten zu behaupten; mit
Wangenheim in Freundschaft zu leben, ohne den Großmächten
verdächtig zu werden. Die handelspolitische Verständigung
mit Preußen war ihm seit Jahren ein geläufiger Gedanke.
In der diplomatischen Welt stritt man sich, ob Hofmann in
Privatangelegenheiten eines hessischen Prinzen reise, oder
den Verkauf der Kreuznacher Saline in Berlin vermitteln
solle. So durch die Hintertür, wie der Dieb in der Nacht,
ist diese folgenreiche Entscheidung in unsere Geschichte eingetreten.
Das Geheimnis war nur zu nötig. In Darmstadt
Der hessische Bevollmächtigte beantragte nur die gegenseitige
Herabsetzung einer langen Reihe von Zöllen auf ein
Zehntel der bisherigen Sätze; als unerläßliche Bedingung
stellte er den Kernsatz jenes Heidelberger Protokolls auf:
selbständige Zollverwaltung für Darmstadt. Alsbald trat
ihm Motz entgegen mit dem Bedenken: Zollerleichterungen
seien unfruchtbar, weitläufig, gefährlich; Preußen müsse die
vollständige Annahme seines Zollgesetzes verlangen. Unter
solchen Umständen mußten die Verhandlungen entweder
scheitern oder zu einem Kompromisse führen: zur Bildung
eines Zollvereins auf Grund des preußischen Zollgesetzes,
aber mit selbständiger Zollverwaltung für beide Teile. Überraschend
schnell, in wenigen Tagen wurde die Lösung gefunden,
wonach die süddeutschen Kabinette in jahrelangen
Verhandlungen getrachtet hatten. Am 11. Januar 1828
fand die erste förmliche Konferenz im Finanzministerium
statt, und hier wurde bereits von allen Seiten anerkannt,
daß nur eine vollständige Vereinigung möglich sei: Darmstadt
trat in das preußische Zollsystem ein; Preußen, längst
bereit »über Formalitäten leicht hinwegzugehen«, gewährte
dem Verbündeten gleiches Stimmrecht bei Abänderungen der
Zollgesetze und eine selbständige Zollverwaltung, die aber
streng nach preußischem Muster eingerichtet werden sollte.
Mit diesem Entschlusse war alles Wesentliche entschieden.
Die nächste Konferenz vom 17. Januar behandelte nur noch
Detailfragen. Am 24. Januar berichtete Eichhorn dem Könige:
der Vertrag verspreche allein für Hessen finanzielle
und volkswirtschaftliche Vorteile, für Preußen dagegen einen
großen politischen Gewinn, da die kleinen Staaten auf diesem
Wege dauernd an uns gefesselt werden. Am 3. Februar
genehmigte der König den Abschluß der Verhandlungen;
in seiner streng rechtlichen Gesinnung fügte er ausdrücklich
die Bedingung hinzu: »die deutschen Nachbarstaaten, besonders
So kam denn am 14. Februar 1828 jener denkwürdige Vertrag zustande, der in Wahrheit die Verfassung des deutschen Zollvereins feststellte. Er verhält sich zu den späteren Zollvereinsverträgen genau so, wie die Verfassung des Norddeutschen Bundes zu der heutigen Reichsverfassung sich verhält. Durch den Zutritt anderer, größerer Mittelstaaten haben sich späterhin die zentrifugalen Kräfte des Zollvereins erheblich verstärkt; einzelne Bestimmungen des Vertrags wurden im föderalistischen Sinne abgeschwächt; doch die Fundamente des preußisch-hessischen Vertrags blieben unerschüttert. Darmstadt nahm die preußischen Zölle an und gab überdies die vertrauliche Zusage, daß auch die wichtigsten preußischen Konsumtionssteuern eingeführt werden sollten. Der Kreis Wetzlar tritt unter die darmstädtischen, das hessische Hinterland unter die westfälischen Zollbehörden. Preußen ernennt einen Rat bei der Zolldirektion in Darmstadt, Hessen desgleichen bei der Steuerdirektion zu Köln. Beide Staaten beaufsichtigen wechselseitig ihre Hauptzollämter durch Kontrolleure; eine Konferenz von Bevollmächtigten verteilt alljährlich die gemeinschaftlichen Einnahmen nach Verhältnis der Kopfzahl. Dergestalt war die Rechtsgleichheit der Verbündeten, die souveräne Würde des darmstädtischen Reiches, mit peinlicher Sorgfalt gewahrt. Die milde Kontrolle änderte wenig an der Selbständigkeit der hessischen Zollverwaltung; der Verein beruhte im Grunde nur auf gegenseitigem Vertrauen. Nach den bisherigen Leistungen kleinstaatlicher Zollverwaltung konnten die preußischen Geschäftsmänner einen solchen Vertrag nicht ohne ernste Bedenken unterschreiben. Die hessische Regierung aber hat das gute Zutrauen gerechtfertigt, sie ließ das neue Zollwesen unter der einsichtigen Leitung des Finanzrats Biersack fest und redlich durchführen. Diese deutsche Treue, diese ehrenhafte Erfüllung der eingegangenen Verbindlichkeiten bildet überhaupt das beste Verdienst, das die Mittelstaaten um den Zollverein sich erworben haben; der Abschluß der Verträge selbst war nicht eine freie patriotische Tat der kleinen Höfe, sondern ein Ergebnis der bitteren Not.
Ebenso streng wurde die Gleichberechtigung der Verbündeten
So bereitwillig die preußischen Staatsmänner in diesen lächerlichen Formfragen nachgaben, ebenso schwer fiel ihnen der Entschluß, den Inhalt des Artikels 4 selbst anzunehmen. Wann hatte denn jemals eine Großmacht ihre Zollgesetzgebung dem guten Willen eines Staates vom dritten Range unterworfen? Es war vorauszusehen, daß dieser darmstädtische Vertrag allen späteren Zollvereinsverträgen ebenso zum Vorbilde dienen würde, wie der Sondershausener Vertrag das Muster gewesen war für alle nachfolgenden Enklavenverträge. In jenem Augenblick freilich standen die kleinen Kabinette den Ideen des Freihandels sogar noch näher als Preußen. Doch konnte dem Scharfblick Motzs und Maaßens nicht entgehen, daß diese Parteistellung in einer nahen Zukunft sich gänzlich verschieben würde, sobald in Oberdeutschland eine junge Großindustrie entstand. Der preußischen Zollgesetzgebung drohte vielleicht Stillstand und Verkümmerung, wenn die Mittelstaaten ein Veto erhielten.
Alle diese staatswirtschaftlichen Bedenken mußten verstummen
vor den glänzenden Aussichten, welche sich der
nationalen Politik Preußens eröffneten. Darmstadt — so
berichtete Eichhorn dem Könige — empfängt durch den
Vertrag erst die Möglichkeit eines haltbaren Zollsystems.
Preußen gewinnt die wichtige Position in Mainz, verhindert
Der neue Zollverein sollte bis zum 31. Dezember 1834 dauern und dann, sofern keine Kündigung erfolge, auf weitere sechs Jahre verlängert werden. Das Recht der Kündigung blieb … die einzige Waffe, um Preußen sicherzustellen gegen den Mißbrauch des gleichen Stimmrechts. Handelsverträge schloß Preußen allein — denn der Zusatz »unter Mitwirkung und Zustimmung Darmstadts« war praktisch wertlos. In allem übrigen bestand vollständige Gleichheit der Rechte.
Auch um diesen Vertrag hat sich ein zielloser Prioritätsstreit
erhoben. Der partikularistische Neid will die Tatsache
nicht zugeben, daß die Verfassung des Zollvereins in Berlin
ersonnen wurde. Man behauptet, der preußisch-hessische
Verein sei lediglich dem bayrisch-württembergischen Verein
nachgebildet worden, welcher einige Wochen vorher, am
18. Januar 1828, zustande kam und ebenfalls das gleiche
Stimmrecht, die selbständige Zollverwaltung der Bundesgenossen
anerkannte. Ein Blick auf die Tages- und Jahreszahlen
genügt, um dies Märchen zu widerlegen. Der Fundamentalsatz
der Zollvereinsverfassung, die Parität und Unabhängigkeit
der Bundesgenossen, wurde in der Konferenz
vom 11. Januar zwischen Preußen und Darmstadt vereinbart,
acht Tage bevor der bayrisch-württembergische Vertrag abgeschlossen
wurde — in einem Augenblick, da man zu Berlin
den Gang der Münchener Verhandlungen noch nicht näher
kannte. Die neueste aus München eingelaufene Nachricht
sagte nur: noch bleibe zweifelhaft, ob der süddeutsche Verein
gemeinsame oder getrennte Zollverwaltung haben solle, das
letztere sei allerdings wahrscheinlicher. Der Gedanke lag
eben in der Luft, er ergab sich mit Notwendigkeit aus den
fruchtlosen Zollverhandlungen der jüngsten Jahre, er wurde
Eichhorn fühlte, daß die Dinge endlich in Fluß kamen.
Voll froher Zuversicht richtete er im März an die Gesandtschaften
in Deutschland eine eingehende Instruktion. Er
schildert darin den Gang der preußischen Handelspolitik,
das System des bewußten, berechneten Abwartens, das so
gute Früchte getragen habe. Er zeigte sodann, wie mit dem
Darmstädter Vertrage die entscheidende Wendung eingetreten
sei: diese Verhandlungen waren besonders darum
nützlich, weil sie »die Möglichkeit eines gemeinschaftlichen
Zollsystems für Staaten, die geographisch unabhängig sind,
erwiesen. An die Stelle eines dunklen Gefühls, welches
früherhin eine Vereinigung in einer unbestimmten Richtung
suchte, ist eine klare Erkenntnis getreten.« Man sieht heute
in der Aufnahme der staatswirtschaftlichen Grundsätze eines
anderen Staates nicht mehr eine Verleugnung der Souveranität.
Nichtsdestoweniger soll die Diplomatie nach wie
vor eine ruhig zuwartende Haltung behaupten. Ebenso
zuversichtlich schrieb Eichhorn an Motz: Unsere Handelspolitik
hat sich bewährt und wird noch größere Erfolge erringen,
In der Tat erwies sich in Hessen wie einst in den Enklaven
sehr rasch der Segen der preußischen Gesetze. Im ersten
Augenblick war die Stimmung im Lande noch geteilt. Das
Starkenburger Land sah den gewohnten kleinen Verkehr mit
dem Frankfurter Markte mannigfach belästigt, und in der
Kammer klagten nach deutschem Brauche einzelne Patrioten
beweglich über den »Löwenvertrag«, welchen Preußens
Schlauheit der hessischen Unschuld auferlegte. Der Handelsstand
in Mainz und Offenbach dagegen sprach der Regierung
seinen Dank aus, und bald regte sich überall im Lande ein
neues Leben. Vor kurzem noch hatte man in Berlin geplant,
eine Messe in Köln zu errichten, die dem Mainzer und Frankfurter
Verkehr das Gegengewicht halten sollte: jetzt entstand
in Offenbach ein schwunghafter Meßverkehr, der namentlich
im Ledergeschäfte das reiche Frankfurt zu überflügeln
begann. Die beiden Verbündeten bauten eine große Straße
von Paderborn über Biedenkopf nach Gießen und weiter
südwärts, so daß ein fast zollfreier Straßenzug den Neckar
mit der Ostsee verband. Nach zwei Jahren war die handelspolitische
Opposition in den Kammern fast völlig verstummt.
Graf Lehrbach, der den Minister wegen Landesverrats verklagen
wollte, stand vereinsamt; der Abgeordnete Schenk
aber dankte der Regierung und schloß gemütlich: Das einzige
Mittel gegen den Wunsch nach politischer Einheit ist die Zolleinigung!
Mit Selbstgefühl verwies Hofmann auf die günstigen
Rechnungsabschlüsse und sagte »mit voller Zuversicht
dieser auf gegenseitige Vorteile gegründeten Verbündung
Bestand und Dauer voraus: so werden Sie hoffentlich bald
dasjenige verwirklicht sehen, was noch vor wenigen Jahren
zwar Gegenstand Ihrer angelegentlichsten Wünsche war,
aber nach so vielen vergeblichen Verhandlungen kaum in dem
Reiche der Möglichkeit zu liegen schien.« Auch in Preußen
hielten die Klagen der Geschäftswelt, die sich anfangs laut
genug erhoben, nicht lange vor. Unterdessen hatte der König
sein gesamtes thüringisches Gebiet in die Zollinie aufgenommen;
die Lage der ernestinischen Fürstentümer ward fast unerträglich.
Und doch sollte das Undenkbare geschehen. Auf das
erste Gerücht hin versuchten allerdings einige Kleinstaaten,
sich den Verbündeten zu nähern — lediglich in der Absicht,
den Inhalt des Vertrages, der noch streng geheim gehalten
wurde, zu erfahren. Präsident Krafft in Meiningen schrieb
an Hofmann, bat um Aufklärung, deutete gewichtig an, daß
Meiningen vielleicht dem hessischen Beispiel folgen werde,
wenn man nur die Machtstellung dieses Reiches nach Gebühr
würdige: »Die Lage des Landes Meiningen läßt seinen
Wert den geographischen Umfang desselben überschreiten,
indem mehrere der frequentesten Landstraßen die Handelsplätze
an den Küsten der Nordsee mit einem bedeutenden
Teile des südlichen Deutschlands, der Schweiz und Italiens
verbinden, und Preußen, Bayern und Kurhessen zu seinen
wichtigeren Grenznachbarn gehören.« Die Meininger Welthandelsstraßen
boten unleugbar auf der Landkarte einen sehr
stattlichen Anblick; gebaut waren sie freilich noch nicht, auch
besaß das Ländchen durchaus nicht die Mittel, sie jemals zu
bauen. Motz, dem die Naturgeschichte des deutschen Kleinstaats
einen unerschöpflichen Quell der Ergötzung bot, sendete
das Meininger Schreiben an Hofmann zurück und versicherte,
die geographische Bedeutung des Herzogtums sei
ihm ganz neu; dann schloß er wehmütig: »es ist betrübt,
wenn solche überspannte Diener dazu beitragen, daß dem
Souveränitätsdünkel ihrer Fürsten auch noch ein Straßendünkel
hinzugefügt wird.« Der Vorfall blieb dem klugen
Manne unvergessen; der Meininger Straßendünkel sollte zur
rechten Stunde noch eine Rolle spielen in der deutschen Geschichte.
Noch durchsichtiger war ein diplomatisches Kunststück
der freien Stadt Frankfurt. Der alte Rothschild erschien
bei Otterstedt, um verbindlich anzufragen, ob nicht auch Frankfurt
mit Preußen einen ähnlichen Vertrag schließen könne.
Nun wußte alle Welt, daß die Handelspolitik dieser Republik
lediglich in einer systematischen Pflege des Schmuggels bestand.
Der Fühler hatte also nur den Zweck, den Senat über
die Bedingungen des preußisch-hessischen Vertrages zu unterrichten,
damit die Frankfurter Schmuggler sich darauf einrichten
Unter den deutschen Höfen war nur einer, der den preußisch-hessischen Verein mit Freude begrüßte: der badische Hof. Allein durch Preußens Beistand konnte Großherzog Ludwig hoffen, seine Pfalz gegen Bayern zu behaupten; daher schrieb er an Blittersdorff: »ich freue mich, einen Einfluß vermehrt zu sehen, dem ich, besonders im gegenwärtigen Augenblick, soviel verdanke«. Zugleich hoffte man in Karlsruhe die Absichten der badischen Handelspolitik nunmehr in Süddeutschland durchzusetzen, denn seit Darmstadt zu Preußen übergetreten, bildete Baden allein die für Bayern unentbehrliche Verbindung zwischen Franken und der Pfalz.
Alle anderen Höfe vernahmen die erste unsichere Kunde
aus Berlin mit unbeschreiblichem Schrecken; die Nachricht fiel
wie eine Bombe in die diplomatische Welt. Selbst Blittersdorff,
der doch die entgegengesetzten Ansichten seines Souveräns
kannte, enthielt sich nicht zu jammern über »dies
Unglück, diesen neuen Beweis preußischer Selbstsucht«: es
sei ja klar, Preußen wolle nur den hessischen Markt für seine
Fabrikate ausbeuten, und glaube selber nicht an die Dauer
der Verbindung. Was der Heißsporn also herauspolterte,
war nur der Widerhall der erregten Reden der österreichischen
Partei am Bundestage. Münch
Daß Münch und Langenau nicht ohne geheime Weisungen handelten, ließ sich leicht erraten. Zum Überfluß sprach Fürst Metternich selbst seine Bestürzung in sauersüßen Worten aus. Der preußische Gesandte teilte dem österreichischen Staatskanzler eine Denkschrift mit, die sich ausführlich über Preußens bisherige Handelspolitik verbreitete. Darauf erwiderte der Fürst: »Der Darmstädter Vertrag hat großes Aufsehen erregt, wie ja alles in Deutschland mißdeutet wird. Doch ist uns lieb, daß Preußen sich so offen ausspricht; mit der Denkschrift bin ich im wesentlichen einverstanden. Bayern hat uns kürzlich aufgefordert, den preußisch-hessischen Vertrag zu hintertreiben. Wir lehnten ab, da solche Verträge eine Konsequenz der Souveränität sind. Ich kann aber nicht verhehlen, daß, sobald dergleichen Verbindungen aufhören, bloß aus dem administrativen Gesichtspunkt betrachtet zu werden und ihnen eine politische Tendenz zugrunde gelegt wird, die Grundgesetze des Bundes ihnen entgegenstehen.« Darauf empfahl er dem preußischen Hofe abermals, wie einst auf dem Aachener Kongreß, die Vorzüge der k. k. Provinzialmauten: wenn man in Preußen Provinzialzölle einführte, so würde man der lästigen Zollverträge nicht bedürfen! Mit Entzücken vernahm Motz diese Orakelsprüche und schrieb an Eichhorn: »Von den Finanzansichten des Fürsten v. Metternich werden wir wohl keinen Gebrauch machen können. Dagegen wollen wir nicht bestreiten, daß es in vieler Beziehung für uns ohne Nachteil sein wird, wenn er für Österreich bei seinen erleuchteten Ansichten beharrt.« Zudem wußte Eichhorn, wie eifrig der k. k. Gesandte in Darmstadt der Ratifikation des Vertrages entgegengewirkt hatte; noch im Februar war Otterstedt von Karlsruhe hinübergeeilt, um dem österreichischen Einfluß die Wage zu halten.
Auch jenes deutsche Kabinett, das damals dem Berliner
Hofe am nächsten stand, auch Hannover, überraschte durch
Die öffentliche Meinung zeigte sich, wie immer in der Geschichte des Zollvereins, noch verblendeter als die Kabinette, und die Hofburg verstand, trotz ihres Hasses gegen den Liberalismus, den liberalen Unverstand vortrefflich auszubeuten. In Frankfurt arbeitete unter Münchs Augen eine k. k. Korrespondenzenfabrik: mit merkwürdiger Übereinstimmung erzählten der Nürnbergische Korrespondent, die Elberfelder Zeitung, das Frankfurter Journal von unseligen Darmstädter Industriellen, die Haus und Hof verließen, um den preußischen Zöllen zu entgehen. Die Augsburger Allgemeine Zeitung ließ sich aus Darmstadt schreiben: man muß heute einundzwanzigmal preußisch reden, ehe man einmal hessisch reden darf; das unglückliche Land trägt zweifache Lasten, die neuen Mauten und die alten, da ja für Wein und Tabak Ausgleichungsabgaben erhoben werden. Auch unabhängige Blätter, wie der Altonaer Merkur und die Neue Mainzer Zeitung, erzählten die Fabel vom Fuchs, der im Stalle zum Pferde sagte: tritt mich nicht, ich will dich auch nicht treten!
Die preußische Regierung konnte sich in den Künsten
des literarischen Minenkriegs niemals mit Österreich messen;
sie begnügte sich, den österreichischen Tendenzlügen lehrhafte
Berichtigungen in der Staatszeitung entgegenzustellen;
das unglückliche Blatt krankte aber an der Erbsünde aller
offiziösen Blätter, der Trockenheit. Auf allgemeine Zustimmung
konnte in diesem Lande der Kritik kein Schritt der Regierung
rechnen. Nicht bloß unter den Industriellen zitterten
viele vor der drohenden Vermehrung der Konkurrenz. Auch
eine Schule innerhalb des Beamtentums, Schön mit seinen
Am gefährlichsten unter allen Kräften des Widerstandes
erschien vorderhand die feindselige Haltung des Münchener
Hofes. Im Oktober 1827 waren in München die Verhandlungen
zwischen den beiden süddeutschen Königskronen wieder
aufgenommen worden. Schmitz-Grollenburg
Indes die verständige Verfassung konnte den Grundschaden
dieses Bundes nicht heilen: er war zu klein und darum,
wie Eichhorn voraussagte, nicht lebensfähig. Wohl stiegen
die Zolleinnahmen Württembergs im ersten Jahre um
220000 Gulden; der kleinere Bundesgenosse zog selbstverständlich
den größeren Vorteil aus der Erweiterung des Marktgebiets.
Doch betrugen die Zolleinnahmen nur 9½ Sgr.
auf den Kopf der Bevölkerung, während Preußen das Zweiundeinhalbfache,
24 Sgr., einnahm. Die Kosten der Zollverwaltung
verschlangen mindestens 44 Prozent der Einkünfte;
in Bayern war der Rohertrag für das Rechnungsjahr
1828–1829: 2,842 Millionen Gulden, der Reinertrag nur
König Ludwig wollte die Gebrechen des Vereins lange
nicht bemerken. Wie war er stolz auf seiner Hände Werk,
den ersten deutschen Zollverein; wie schwelgte er in erhabenen
Träumen von historischer Unsterblichkeit. Er wollte fortleben
im Munde später Geschlechter als der Vollender der
fossa Carolina, jenes Kanales zwischen der Nordsee und dem
Schwarzen Meer, den Karl der Große ersonnen, doch nicht
ausgeführt hatte, und beschäftigte sich auch mit großen Eisenbahnplänen,
seit Franz Baader
Mitten in diese holden Träume fiel niederschmetternd
die Kunde von dem preußisch-hessischen Vertrag. Durch
diesen Verein, das sprang in die Augen, verlor der süddeutsche
Verein sofort Sinn und Bedeutung. König Ludwig sah seine
teuersten Hoffnungen zerstört, blieb mehrere Wochen hindurch
völlig fassungslos. »Nunmehr hab' ich alle Schritte
getan, um meine armen Untertanen zu retten!« sagte er
verzweifelnd zu Schmitz-Grollenburg. In groben Schimpfworten
entlud sich sein Groll; er schalt laut auf den Verräter
Hofmann, erzählte an offener Tafel, Preußen habe den Prinzen
Emil von Hessen mit 400000 Gulden bestochen. In seinem
Zorne vergaß er auch wieder seinen »teutschen« Stolz. Solange
diese kleinen Höfe noch europäische Politik treiben durften,
waren auch patriotische Fürsten nicht vor argen Verirrungen
sicher. Wie Ludwig einst als Kronprinz, trotz seines Abscheus
gegen Napoleon, mehrmals untertänige Briefe an den Schöpfer
der bayrischen Königskrone gerichtet und sogar die Hoffnung
ausgesprochen hatte, sein Sohn Max werde dereinst
dem König von Romtroisième Allemagne.
Da König Ludwig schon nach wenigen Monaten von seinen leidenschaftlichen Verirrungen zurückkam, so wurden diese häßlichen Zettelungen mit dem Auslande nachher ganz in Abrede gestellt. Der Hergang ist gleichwohl verbürgt durch die übereinstimmenden Zeugnisse von Freund und Feind. Nicht allein der preußische Gesandte Küster berichtete darüber ausführlich seinem Hofe; der badische Gesandte Fahnenberg meldete ganz dasselbe nach Karlsruhe. Der österreichische Gesandte Graf Spiegel warf dem bayrischen Minister des Auswärtigen die Anklage ins Gesicht, daß er Frankreich in die deutsche Handelspolitik hineinzuziehen suche. Über Lerchenfelds Verhalten berichtete Blittersdorff, der ja selber sehr geneigt war, jedes Mittel zu gebrauchen zur Vernichtung des preußisch-hessischen Vereins. Die Schwenkung der bayrischen Politik nach Frankreich hinüber war bald eine der gesamten diplomatischen Welt bekannte Tatsache.
König Ludwig überließ sich eine Zeitlang blindlings dem
stürmischen Unwillen der verletzten Eitelkeit. Sein Kabinettsrat
Grandauer übte schlechten Einfluß; auch Freiherr v. d.
Tann träumte bayrische Großmachtsträume. Nur der alte
welterfahrene Minister Zentner sah die Dinge ruhiger an.
Selbst König Wilhelm von Württemberg blieb nüchtern und
gleichmütig. Sein Geschäftsverstand war doch stärker als
sein Groll gegen Preußen; auch mochten ihm die bitteren
Erfahrungen der Tage von Verona noch unvergessen sein.
In einem Gespräche mit du Thil verbarg er zwar seine Enttäuschung
nicht, gestand aber zu: »früher oder später werden
wir noch gezwungen sein, Euerem Beispiele zu folgen«.
Im selben Sinne erklärte sein Minister Beroldingen dem
preußischen Gesandten, »daß Württemberg in die deutsch-patriotischen
Gesinnungen der preußischen Regierung niemals
auch nur den geringsten Zweifel gesetzt hat und die bestehenden
besonderen Vereine zugleich als Mittel betrachtet, zu dereinstiger
Wie der preußische Staat alles, was er für die Macht und Einheit unseres Vaterlandes tat, erkämpfen mußte gegen den Widerstand des Auslandes, so ward auch der preußisch-hessische Bund sofort von den Ränken der fremden Mächte umsponnen. Im Verein mit Frankreich versuchte Holland Unfrieden zu säen zwischen Süd und Nord. Der Minister Verstolck van Soelen machte den württembergischen Geschäftsträger aufmerksam auf die Gefahren, welche der deutschen Handelsfreiheit und der Unabhängigkeit der Kleinstaaten drohten. Der Württemberger, ein verständiger Mann, der seinem preußischen Kollegen, dem Grafen Truchseß-Waldburg, alles mitteilte, antwortete treffend: die Zölle der fremden Mächte, und nicht zuletzt Hollands, zwingen uns Deutsche, uns zu einigen und neue Handelswege zu suchen — worauf Verstolck heilig versicherte: die Herabsetzung der niederländischen Zölle stehe nahe bevor; für jetzt aber dürfe man nur an den Widerstand gegen den gemeinsamen Feind, gegen Preußen denken. Eichhorn, der die holländischen Kaufherren aus den endlosen Rheinschiffahrtsverhandlungen genugsam kannte, schrieb an den Rand der Depesche: Die Niederlande verfolgen gar keinen positiven Zweck, sie wollen nur die weitere Einigung Deutschlands in Zollsachen verhindern. In der Tat lud der niederländische Geschäftsträger Mollerus den Münchener Hof ein, für den süddeutschen Verein einen Handelsvertrag mit Holland abzuschließen, und beteuerte zugleich die gute Absicht seines Hofes, sich mit den oberländischen Staaten über Preußen hinweg wegen der Rheinzölle zu verständigen. Bestimmte, greifbare Vorschläge übergab er nicht; die Absicht war lediglich, Bayern und Württemberg von Preußen fernzuhalten. Auch England bezeigte seine Unzufriedenheit. Der Präsident des Handelsamts, Charles Grant, beschwerte sich bei dem preußischen Gesandten Bülow heftig über die hohen Zölle des preußisch-hessischen Vereins und erhielt die kühle Antwort: der Verein habe an den preußischen Zöllen gar nichts geändert; doch wisse jedermann, daß Preußen freieren handelspolitischen Grundsätzen huldige als England.
Mit diesen Ränken des Auslandes, die bald einen sehr
bedrohlichen Charakter annahmen, verkettete sich der unselige
Der entscheidende Kampf entspann sich am Kasseler
Hofe; noch einmal wurde die kurhessische Handelspolitik
verhängnisvoll für das ganze Deutschland. Der Großherzog
Auf solchem Boden war den armseligen Künsten der
kleinen Höfe die Stätte bereitet. Ein Heerlager von amtlichen
und geheimen Unterhändlern strömte im Frühjahr 1828 zu
Kassel zusammen, um den Kurfürsten von Preußen fernzuhalten.
Aus Bayern erschienen die Geheimen Räte Oberkamp
und Siebein, der erstere wohlgeschult in dem Ränkespiel
der Eschenheimer Gasse; auch seinen Freund v. d. Tann
schickte König Ludwig hinüber. Für Württemberg arbeitete
der alte Agitator Miller von Immenstadt, jetzt württembergischer
Steuerrat. Aus Sachsen kam Freiherr v. Lützerode,
aus Hannover Kammerrat Lüder, auch Koburg und Meiningen
sendeten Unterhändler. Dann erschien »zum allgemeinen
Schrecken« Präsident v. Porbeck aus Arnsberg, um
dem Berliner Kabinett über das verworrene Treiben zu berichten.
Die Darmstädter Regierung erneuerte im März
ihren Versuch und sendete den Prinzen Wittgenstein, um
dem Kurfürsten mitzuteilen: Preußen habe eingewilligt, daß
der Zutritt Kurhessens zu dem Vertrage vorbehalten bleibe
und Darmstadt den Antrag stelle; der Großherzog erlaube
Eichhorn ahnte, daß die süddeutschen Kronen die Hände
im Spiele gehabt, empfahl dem Bundestagsgesandten Nagler
und allen Gesandten im Oberlande scharfe Aufmerksamkeit
auf die Handelspolitik der kleinen Höfe. Zwei Tendenzen,
schrieb er, wirken uns in Kassel entgegen. Der bayrisch-württembergische
Verein sucht Kurhessen für sich zu gewinnen;
er krankt an verkehrten politischen Nebengedanken und ruht
auf dem falschen Grundsatze, daß die Binnenstaaten von den
Küstenländern sich unabhängig machen sollen; »mit jeder
Ausdehnung verliert das System selbst an innerem Halt und
Zusammenhang«. Gefährlicher scheint der von einigen thüringischen
Staaten gehegte Plan, unter Kurhessens Führung
einen hessisch-thüringischen Zollverein zu bilden, der nach
Belieben mit Preußen oder mit dem Süden verhandeln
Nach Wittgensteins Abreise meinten die bayrisch-württembergischen Unterhändler ihr Spiel gewonnen. Bayern versprach dem Kurfürsten, seine bisherigen Zolleinnahmen zu verbürgen, wenn er dem süddeutschen Verein beitrete. Der Kurfürst, als ein geriebener Handelsmann, holte sofort eine alte Schuldforderung an das fürstliche Haus Oettingen hervor, welche einst Napoleon für Bayern eingezogen hatte; auch diese Sache zu bereinigen war Bayern erbötig. Schon bereiste Oberkamp mit einem kurhessischen Finanzbeamten die bayrischen Grenzen, um diesem die Einrichtung der Mauten zu zeigen. Da griff eine gewandtere Hand ein und betrog die süddeutschen Höfe um den Sieg.
Daß Österreich die Erweiterung des preußisch-hessischen Vereins ungern sah, war allbekannt. Wenn der österreichische Geschäftsträger in Kassel dem Prinzen Wittgenstein zuvorkommend seine Instruktionen zeigte und dort zu lesen stand, er solle seinen preußischen Kollegen überall getreulich unterstützen, so wußte man in Berlin längst, was von solchen k. k. Scherzen zu halten sei. Aber auch der Zollverein der konstitutionellen Südstaaten erschien zu Wien hoch gefährlich. Sobald das diplomatische Getriebe in Kassel begann, wurde Freiherr v. Hruby, einer der eifrigsten und gefährlichsten Feinde Preußens, so recht ein Vertreter des alten ferdinandeischen Hochmuts, von Karlsruhe abberufen, in Hannover und Kassel als Gesandter beglaubigt. Ihm gelang es, den Kurfürsten zu überzeugen, daß auch der Anschluß an Bayern die kurhessische Nationalehre gefährde; »die bayrischen Mautritter«, wie der Kurfürst höhnte, empfingen im Mai abschlägige Antwort. Und bald erfüllte sich, was ein feiner Kenner der hessischen Dinge dem preußischen Gesandten Hänlein vorausgesagt hatte: »Kurhessen wird seine ergiebigen Transitzölle zu behalten suchen und am liebsten gar nichts an dem Bestehenden ändern. Nur wenn keine Verständigung mit der Kurfürstin zustande kommt, wird unser Staat, welcher bekanntlich nur aus einer Person besteht, sich aus Ärger vielleicht auf die Seite der Gegner Preußens schlagen.«
Dahin war es wirklich gekommen, daß die Zukunft der
deutschen Handelspolitik zunächst von dem ehelichen Frieden
Die Hofburg wollte nicht bloß die Erweiterung des preußischen Zollsystems verhindern, sie dachte, das System selber zu zerstören, den mühsam errungenen ersten Anfang deutscher Handelseinheit zu vernichten; und gerade bei den norddeutschen Höfen, welche durch alle ihre natürlichen Interessen auf Preußen angewiesen waren, fand diese Absicht Anklang. Der dynastische Haß des sächsischen Hofes, der Welfenstolz Hannovers, der Grimm des Kurfürsten gegen seinen königlichen Schwager, die Großmannssucht des Nassauer Herzogs, die gedankenlose Ängstlichkeit der kleinsten Höfe — alle niederträchtigen und alle schwächlichen Elemente des norddeutschen Kleinfürstentums vereinigten sich in tiefster Stille zum Kampfe gegen Preußen. Gestützt auf Österreich, begünstigt durch den Handelsneid Englands, Frankreichs und Hollands, kam der Mitteldeutsche Handelsverein zustande — eine der bösartigsten und unnatürlichsten Verschwörungen gegen das Vaterland — gleich dem Rheinbunde ein Zeugnis, wessen das deutsche Kleinfürstentum fähig war.
Nirgends erweckte der preußisch-hessische Vertrag schwerere
Besorgnisse als am Dresdner Hofe. Wie hatte man sich dort so
behaglich eingelebt in den alten Privilegienwust, wie war es
so süß, am Bundestage über die deutsche Handelseinheit und
die Bundeszölle salbungsvoll zu reden — in der frohen Erwartung,
daß gar nichts zustande komme, daß man jedes
ernsten Entschlusses, jeder heilsamen Reform allezeit überhoben
bleibe! Jetzt erstanden plötzlich dicht an Sachsens Grenzen
zwei Zollverbände. Wie nun, wenn die augenblickliche
Verstimmung des Königs von Bayern verflog, wenn die
beiden Vereine, die in ihren handelspolitischen Grundsätzen
einander so nahe standen, sich zu einem verschmolzen: wenn
sie auch Thüringen gewannen, und also dem Leipziger Handel
der Weg zur See ringsum durch Zollstellen versperrt wurde?
Lauter und lauter erklangen die Klagen der Fabrikanten
Aus solchen Berechnungen entsprang der Plan, einen
Gegenzollverein zu bilden, der, ohne selbst ein positives
handelspolitisches Ziel zu verfolgen, nur als ein Keil zwischen
die beiden Zollvereine hineindringen, ihre Verbindung hindern
sollte. Es galt, die ersten Anfänge der Handelseinheit zu
zerstören, den schmachvollen Zustand deutscher Zerrissenheit
zu verewigen. Die Träger dieser Politik waren zwei Gebrüder
Carlowitz, aus einem der ehrenwertesten Häuser des obersächsischen
Adels. Der Ältere
So wurde denn ein hochgefährliches Unternehmen gegen
Deutschlands Handelseinheit in aller Stille eingefädelt, harmlos,
gemütlich wie eine Carlowitzsche Familienangelegenheit.
In den letzten Tagen des März 1828 trafen sich der Herzog
Es war ein pactum de paciscendo, ein Vertrag ohne
positiven Inhalt, eine Verpflichtung, vorläufig nichts zu tun,
den bestehenden Zustand nur nach gemeinsamer Abrede zu
verändern. Von einer Zollgemeinschaft zwischen den Vereinsstaaten,
von irgendwelchen ernsten Reformen war gar
nicht die Rede. Gleichwohl konnte der »neutrale« Verein
dem preußischen Zollsystem verderblich werden; er suchte
der Handelspolitik Preußens ihre schärfste Angriffswaffe,
die Durchfuhrzölle, aus der Hand zu winden. Wenn es gelang,
alle zwischen den preußischen Provinzen eingeklammerten
Länder, insbesondere die Küstenstaaten, für den Verein
zu gewinnen, so nahm die gesamte Einfuhr von der See nach
Die Oberschönaer Punktation wurde dem sächsischen
Bundestagsgesandten Bernhard von Lindenau
Dergestalt war wieder einmal eines jener anmutigen
Ränkespiele eingeleitet, welche von Zeit zu Zeit die trostlose
Langeweile der Bundestagsgeschäfte wohltätig unterbrachen.
Daß Österreich alle Fäden der Verschwörung in seiner Hand
hielt, war bald am Bundestage offenkundig. Mit gewohnter
Treuherzigkeit stellte die Hofburg jede Parteinahme in Abrede.
Der k. k. Hofrat v. Kreß, der Leiter der österreichischen
Handelssachen, beteuerte dem preußischen Geschäftsträger
feierlich: mit keinem Worte habe Osterreich den Anschluß
Darmstadts zu verhindern gesucht; er selber habe die Korrespondenz
geführt und nach Darmstadt geschrieben, sein Hof
werde sich freuen, wenn Hessen bei dem preußischen Bündnis
seinen Vorteil finde. Nach den Enthüllungen, die man in
Berlin vom Darmstädter Hofe selbst erhalten, konnten solche
Beteuerungen nur Heiterkeit erregen. Wie Österreich zu dem
neuen Gegenzollverein stand, das erhellte, wenn anders die
Frankfurter Gesandtschaftsberichte noch einer Bestätigung bedurften,
aus einem Briefe Lindenaus, der in Berlin bekannt
wurde. »Ich verhandle mit Holstein und den Niederlanden,
schrieb der sächsische Diplomat an den Bundestagsgesandten
Leonhardi
Entscheidend wurde die Haltung von England-Hannover.
Noch war man in London gewohnt, mit dreister Sicherheit
auf Deutschlands Zwietracht zu rechnen; jede Regung selbständigen
Willens in der deutschen Handelspolitik galt den
Briten als ein Schlag ins eigene Angesicht. Welch' eine
köstliche Aussicht, wenn jetzt durch den Gegenzollverein nicht
nur die machtlose Anarchie des deutschen Zollwesens verewigt,
sondern auch den englischen Waren gegen mäßige
Transitzölle der Weg bis ins Herz von Deutschland eröffnet
wurde; von dort mochten sie dann durch die Schmuggler
nach Preußen und Bayern hinübergeschafft werden. Mit
Feuereifer ging der Gesandte am Bundestage, Addington,
auf Lindenaus Ideen ein. Umsonst warnte der nüchterne
Milbanke, Geschäftsträger bei der Stadt Frankfurt: der Verein
entbehre jedes positiven Zwecks, könne und werde nicht
dauern, der deutsche Handel bedürfe schlechterdings einer
Reform. Addingtons Meinung drang in London durch;
allzu verlockend war der Gedanke, den offenen hannoverschen
Markt, der bisher den englischen Fabriken so unschätzbar
gewesen, bis an den Main zu erweitern. Die englische Schaluppe
Hannover folgte wie immer ihrem Schiffe. Graf
Münster
Auch Bremen trat hinzu. Der treffliche SmidtGymnasium
illustre, dann Syndikus und Ratsherr, war 1821–1849
u. 1852–1857 Bürgermeister.
Territorialen Zusammenhang konnte der Verein nur
durch Kurhessen erlangen; daher wurden dort die stärksten
Hebel eingesetzt. Der jüngere Carlowitz selbst erschien im April
zu Kassel, bald darauf kam Lindenau. Beide, unterstützt
durch Hruby, stellten dem Kurfürsten vor, was er am liebsten
hörte: der neutrale Verein verlange gar keine Änderung in
den bestehenden Gesetzen Kurhessens; man betrachte dies
Land als den Kern des Bundes, könne der Sachkenntnis des
Kurfürsten nicht entbehren, darum sollten die Beratungen
über das Grundgesetz unter seinen Augen, in Kassel erfolgen.
Den Ausschlag gab jedoch die staatsmännische Absicht,
dem Schwager in Berlin einen derben Possen zu spielen.
Durch Kurhessens Beitritt wurde Badens Ablehnung mehr
als aufgewogen. Lindenau schrieb an Berstett: er hoffe auf
die Mitwirkung des Karlsruher Hofes um so sicherer, da durch
den Verein »weder die Selbständigkeit der eigenen Landesverwaltung,
noch auch deren finanzielle Verhältnisse die
mindeste Störung erleiden, sondern nur die unveränderte
Aufrechterhaltung des status
quo
Also waren im Laufe des Sommers die sämtlichen zwischen den beiden Hälften der preußischen Monarchie eingepreßten Kleinstaaten angeworben für den Neutralitätsbund, der sich den Namen »Mitteldeutscher Handelsverein« beilegte. Nach jahrelangen vergeblichen Unterhandlungen sah Deutschland plötzlich in einem Jahre drei handelspolitische Vereine auftauchen. Nur Baden und die niederdeutschen Kleinstaaten östlich der Elbe blieben noch isoliert. Triumphierend verkündete ein Artikel der Frankfurter Oberpostamtszeitung, der aus Lindenaus Feder stammte, am 25. Juni: Sachsen, Hannover, Kurhessen, Nassau, Frankfurt sind die Schöpfer des neuen Vereins, der den Artikel 19 der Bundesakte zur Wahrheit macht und, statt neue Zollinien zu schaffen, vielmehr die Handelsfreiheit auf sein Banner schreibt. »Daß Ware gegen Ware vertauscht, Freiheit mit Freiheit, Gleiches mit Gleichem erwidert werde, das ist Forderung des natürlichen Rechts, bei dessen Verkennung und Verweigerung es dem Verein wohl nicht an Mitteln fehlen dürfte, das, was recht und billig ist, mit feierlicher Kraft geltend zu machen, da er helfen und hemmen, Vorteil und Nachteil zu gewähren vermag.« Ein Gebiet von sechs Millionen Seelen gehört ihm, die ganze weite Nordseeküste, die größten Stapel- und Handelsplätze Deutschlands; die Elbe, den Rhein, den Main, die Weser von allen Zöllen zu befreien, liegt allein in seiner Hand!
Wohl mochte man prahlen! Eine so krankhaft unnatürliche
Mißbildung war dem Partikularismus noch nie zuvor
gelungen. In einem weiten Widerhaken reichte das Vereinsgebiet
von Bremen nach Fulda, dann westwärts zum Rhein,
gen Osten bis zur schlesischen Grenze, von dem englischen
Markt Hannover bis zu dem gewerbereichen Sachsen, über
einen bunten Länderhaufen, welchen, Preußen gegenüber,
Und abermals zeigte die öffentliche Meinung ihre alte
unbelehrbare Verblendung. In Arnstadt rottete sich das Volk
zusammen vor dem Hause des Erbprinzen; die Leute drohten
auszuwandern, wenn der Fürst nicht fest zu dem Mitteldeutschen
Verein stehe. Das sächsische Oppositionsblatt »die Biene«
verteidigte warm die hochherzige Absicht der sächsischen
Am 21. Mai 1828 hatten die Verbündeten zu Frankfurt
einen Präliminarvertrag geschlossen. Am 22. August, nachdem
unterdessen der Verein vollzählig geworden, versammelten
sich die Bevollmächtigten in Kassel, und schon am 24. September
kam der endgültige Vertrag zustande. Solche Schnelligkeit
der Beratung stach von den Gewohnheiten der Staatsmänner
des Bundestags auffällig ab; sie bewies deutlich,
daß man Gefahr im Verzuge glaubte und mehr einen diplomatischen
Schachzug als ein dauerhaftes Werk beabsichtige.
Der Vertrag, in Dresden entworfen, sprach die feindselige,
aggressive Richtung gegen Preußen noch weit offener aus
Der Kern des Vertrages blieb die Absicht, auf sechs Jahre
hinaus die Erweiterung des preußischen Zollsystems zu verhindern
non plus ultra
Die Denkschrift schließt mit der pathetischen Frage: »Kann
man denn aus irgendeinem Grunde auch nur vermuten,
daß Preußen die fieberhaften Träume, in welchen eine übermütige
Partei das ganze nördliche Deutschland nur als eine
tertium
aliquid
Selbst die einzige Waffe, die man gegen Preußen schwingen
konnte, erwies sich als unwirksam; den preußischen
Durchfuhrhandel zu lähmen war unmöglich, solange die Handelsstraßen,
welche das preußische Gebiet umgehen sollten,
noch nicht gebaut waren. Mannigfache Entwürfe wurden zu
Kassel besprochen; man träumte von neuen Handelswegen
dicht neben Darmstadts Grenzen, von einem langen Straßenzuge
aus Sachsen über Altenburg und Gotha nach Kurhessen,
der den Verkehr hinwegleiten sollte von der großen preußischen
Chaussee über Kösen und Eckartsberge. Aber wer
sollte die Straße bauen? Die verarmten kleinen ernestinischen
Staaten besaßen nicht die Mittel, die größeren Bundesgenossen
wollten kein Geld vorschießen. Zudem stieß man überall
auf preußisches Gebiet; wie sollte die Erfurter Gegend umgangen
werden, wo Preußen bereits eine gute Chaussee
gebaut hatte? Unablässig arbeitete die Diplomatie der
Bundesgenossen, um Bayern und Württemberg von Preußen
fernzuhalten; der hannoversche Gesandte Stralenheim in
Stuttgart ward nicht müde, den König Wilhelm vor Preußens
Fallstricken zu warnen. Beharrlich wiederholte der Dresdner
Hof, der die Führung des Vereins behielt, er sei bereit, Anträge
und Vorschläge zur Ausbildung des Bundes entgegenzunehmen.
Niemand wußte einen möglichen Vorschlag.
Schon vor der Kasseler Zusammenkunft gestand Lindenau
Immer schärfer trat der tiefe Gegensatz der handelspolitischen
Anschauungen innerhalb des Vereins hervor. Die
Kaufherren von Frankfurt und Bremen forderten unbeschränkten
Freihandel, Hannover die Begünstigung der englischen
Waren. Andere Staaten träumten von neuen Zolllinien;
wieder andere hofften, die Milderung des preußischen
Zollsystems und dann den Eintritt in dies System zu erzwingen.
Kein einziger Kopf an allen diesen kleinen Höfen, der einen
klaren Gedanken mit Ausdauer verfolgte; Karl August von
Weimar war im Juni 1828 gestorben. Bald sonderten sich
die Küstenlande und die Binnenstaaten in zwei Gruppen.
Thüringen und Sachsen schlossen einen Separatvertrag, desgleichen
Hannover und Oldenburg. Sie versprachen ihre
gegenseitigen Untertanen im Handelsverkehr auf gleichem
Fuße zu behandeln usw. — geringfügige Erleichterungen,
die in Preußen gar nicht nötig waren, da das freiere preußische
Zollgesetz zwischen In- und Ausländern nicht unterschied.
Die einfache in Berlin längst feststehende Erkenntnis,
daß nur die Beseitigung der Binnenmauten dem deutschen
Handel aufhelfen könne, war diesen Kabinetten noch nicht
Nunmehr nahm Preußen den Handschuh auf. Der Berliner Hof hatte den ersten Verhandlungen der mitteldeutschen Staaten mit der gewohnten ruhigen Zurückhaltung zugesehen. Ein sächsisch-thüringischer Verein war unschädlich; erst durch Hannovers Zutritt gewann der Verein eine gefährliche Ausdehnung. Man wollte in Berlin nicht glauben, daß dies nahe befreundete Kabinett, dem Preußen soeben jene neuen Straßenzüge und Handelserleichterungen angeboten hatte, einem gegen Preußen gerichteten Bunde sich anschließen werde. Da trat Hannover zu den Verbündeten über, während Bernstorff noch eine freundliche Antwort auf sein Anerbieten erwartete. Sofort verschwand jeder Zweifel über den Charakter des Vereins. Motz in seiner feurig kühnen Weise forderte sogleich, daß man die Gegner als Gegner behandle, und erklärte: »Sollte dieser Verein zustande kommen, so ist Preußen in der Lage, sein Zollsystem für abgeschlossen zu halten, und keineswegs in der Lage, diesen neutralen Verein seiner Absicht gemäß unter imponierenden Bedingungen aufzunehmen.«
Obgleich bisher nur dürftige Nachrichten über die Pläne
des Vereins eingelaufen waren, so erriet der Finanzminister
doch auf den ersten Blick, daß die Zerstörung des preußischen
Über Österreichs Absichten war der entschlossene Mann
längst im klaren. Er wußte, daß die k. k. Verpflegungsbeamten
in Mainz, um den Preußisch-Hessischen Verein zu schädigen,
die vertragsmäßige Steuerfreiheit der österreichischen Garnison
gröblich mißbrauchten, für Tabak, Zucker, Bier massenhaft
Steuerfreischeine ausgaben, mehr, als ganz Rheinhessen
verzehren konnte. Er forderte, der Gesandte in Wien solle
rund heraus erklären: wir lassen uns nicht täuschen durch das
Blendwerk, das mit dem Artikel 19 getrieben wird,
Ein Blick auf diese Aktenstücke genügt, um das Rätsel zu lösen, warum das Berliner Kabinett über die geheime Geschichte seiner Handelspolitik beharrlich geschwiegen, auch die windigsten Prahlereien der zahlreichen geistigen und leiblichen Väter des Zollvereins gelassen ertragen hat. Das Bündnis der Ostmächte war nach wie vor der leitende Gedanke der auswärtigen Politik des Königs. Brach man mit Österreich, so wurde der Deutsche Bund unhaltbar und auch der werdende Zollverein selber in Frage gestellt. Für Preußens Diplomatie ergab sich mithin die Aufgabe, durch ruhige feste Haltung den Wiener Hof dahin zu bringen, daß er der preußischen Handelspolitik nicht geradezu widerstrebte. Preußen räumte der Hofburg die Führerstelle ein in dem Schattenspiele des Bundestages und verlangte für sich die Leitung der wirklichen Geschäfte deutscher Staatskunst. Dies blieb der einzig mögliche Weg nationaler Politik, solange man weder den Willen noch die Macht besaß, die kriegerische Aktion der friderizianischen Tage zu erneuern. Den deutschen Dualismus zu beseitigen, kam dem König nicht zu Sinn; die Absicht war nur, dem preußischen Staate im Bereiche der deutschen Politik ein Gebiet selbständigen, ungestörten Wirkens zu erobern. Ein solches System setzte behutsame Vorsicht und unverbrüchliche Verschwiegenheit voraus; es fiel dahin, sobald die Welt erfuhr, wie planmäßig Preußens Handelspolitik arbeitete und wie deutlich die besten Köpfe des Kabinetts den Grundsatz der Interessen erkannten, der die beiden großen Bundesmächte trennte.
Das Auswärtige Amt ging nicht sofort auf die kampflustige
Gesinnung des Finanzministers ein. Der König verlangte
ruhige, sorgfältige Prüfung, damit nicht durch vorschnelles
Urteil deutschen Bundesstaaten Unrecht geschehe.
Sobald nähere Nachrichten einliefen, stimmte Eichhorn der
Ansicht Motzs bei und erließ eine Instruktion an sämtliche Gesandten
in Deutschland, welche ausführlich darstellte, wie unberechtigt
Zugleich erging an die Regierungen der Grenzbezirke
der Befehl, die handelspolitischen Maßregeln der Verbündeten,
die sich noch immer in rätselhaftes Dunkel hüllten,
scharf zu beobachten. Hier zeigte sich die ganze Unnatur des
Mitteldeutschen Vereins. Das Vereinsgebiet lag im Bereiche
der preußischen Macht, war überall von eingesprengten
preußischen Gebietsstücken unterbrochen, durch tausend Bande
des nachbarlichen Verkehrs an Preußen gekettet. Eine Schar
von preußischen Postbeamten, Floßinspektoren, Schiffahrtsaufsehern
lebte in Feindesland, gab sichere Nachricht über
alles, was auf den Flüssen und Straßen der Verbündeten
vorging. Die Staatszeitung und Buchholzs Neue Monatsschrift
begannen den Federkrieg gegen den Handelsverein
»Eine Souveränität, die sich durch bloße Opposition geltend
machen will — rief Buchholz warnend —, steht im Widerspruch
mit sich selbst und kann nur Niederlagen erfahren.«
Die offene Sprache der preußischen Diplomatie erweckte allerdings Angst und Reue an einigen der kleinsten Höfe. Der Fürst von Sondershausen, dessen Unterherrschaft unter dem Schutze des preußischen Zollsystems aufblühte, war mit seiner Oberherrschaft dem Handelsverein beigetreten und ließ durch sein Geheimes Konsilium das Berliner Kabinett bitten, »diese abgedrungene Maßregel nicht übel zu deuten«. Darauf erwiderte das Auswärtige Amt: man hoffe, »daß ein pp. Konsilium keinen Augenblick darüber im Zweifel sein werde, was in der Wahl zwischen der Festhaltung an dem bisher bestehenden Verhältnis mit Preußen und zwischen der Teilnahme an einer neuen Verbindung zu tun oder zu lassen sei«. Nun bat der Fürst in einem eigenhändigen Briefe den König um Verzeihung und flehte, ihn »mit allergnädigster Nachsicht zu beurteilen und der unschätzbaren hohen Gnade nicht für unwert zu halten«. Auch der Herzog von Gotha schrieb an Wittgenstein (16. Dezember): er erfahre »zu seiner größten Verwunderung«, daß Preußen mit dem Handelsvereine nicht einverstanden sei; nimmermehr sei ihm in den Sinn gekommen, den preußischen Hof, dessen Gunst so wertvoll, zu verletzen.
Gegen die größeren Staaten des Vereins war mit so
sanften Mitteln nichts auszurichten. Motz behielt doch Recht,
da er an Bernstorff schrieb: »Ich bin der Meinung, daß andere
Rücksichten, welche nicht durch die bestehenden Verträge geboten
werden, gegen die betreffenden, uns in finanzieller
Hinsicht nur feindlich gegenüberstehenden Bundesstaaten
wohl aus den Augen gesetzt werden können, indem der preußische
Staat die Macht und die Kraft hat, seinen hohen und
höchsten Interessen die der Bundesstaaten unterzuordnen,
und nach den seit 13 Jahren gemachten Erfahrungen die
Liebe für uns in den Bundesstaaten erst dann zu gewinnen
Zum Heil für Deutschland erwachten um dieselbe Zeit
ähnliche Wünsche in München und Stuttgart. Wie laut auch
König Ludwig im ersten Zorne wider Preußens und Darmstadts
Verräterei gescholten hatte, auf die Dauer konnte er
sich doch nicht verbergen, daß seine eigenen kühnen Pläne
gescheitert waren. Nachdem Kurhessen zu den Mitteldeutschen
übergetreten, war an eine Vergrößerung des Süddeutschen
Vereins nicht mehr zu denken; der rein deutsche Bund unter
Wittelsbachs Fahnen blieb ein Traum. Ebensowenig konnte
der Verein in seiner vereinsamten Stellung verharren. Auch
trat, wie Metternich vorhergesehen, die alte Abneigung
zwischen den beiden Königen bald wieder hervor. Die Hoffnung
auf einen Handelsverein mit der Schweiz ward zunichte
an der Zwietracht der Eidgenossen. So blieb den oberdeutschen
Königen nur die Wahl, entweder mit Preußen oder mit dem
sächsisch-englischen Verein eine Verbindung zu suchen. Hinter
Sachsen und Hannover aber stand Österreich; dies allein
genügte, um den König von Württemberg gegen die mitteldeutschen
Verbündeten einzunehmen. Sein neuer Finanzminister,
Freiherr Karl Varnbüler
Sobald man in München kaltblütig überlegte, erschien doch selbst Preußens Verhalten in dem Sponheimer Handel erklärlich. Die Berliner Regierung war ja durch europäische Verträge verpflichtet, Badens Recht zu schützen; sie verfuhr, wie König Ludwig selbst zugeben mußte, mit rückhaltloser Offenheit; ihr Gesandter suchte durch versöhnliche Sprache den erzürnten Fürsten zu beschwichtigen. Preußen schlug jetzt vor, Bayern und Baden sollten beiderseits auf ihr Sponheimer Erbrecht verzichten, damit der leidige Handel für immer aus der Welt geschafft würde. König Ludwig sträubte sich lange, doch fing er an zu begreifen, daß dies der einzige Weg sei, um sich mit Anstand aus dem verlorenen Spiele zurückzuziehen. Gegen den Spätsommer 1828 begannen der Minister und sein königlicher Freund bereits die Frage zu erwägen, ob nicht eine Annäherung an den Preußisch-Hessischen Verein unvermeidlich sei. Daß die öffentliche Meinung in Bayern dieser Annäherung entschieden widerstrebte, war für die Freunde eher ein Stachel als ein Hemmnis. Voll hochfliegender Begeisterung, empfänglich für alles Außerordentliche, liebten beide die Welt durch unerwartete Entschlüsse zu überraschen. Um so schwerer fiel ihnen, die Demütigung ihres Ehrgeizes, den Schiffbruch ihrer reindeutschen Pläne zu verwinden. Aber sie vermochten es über sich, das Opfer zu bringen. Unabweisbar drängten diese trocknen Geschäftsverhandlungen den näher Beteiligten die Einsicht auf, daß die Deutschen doch zueinander gehörten, nur durch Mißtrauen, durch Unkenntnis und durch die Selbstsucht, die immer der schlimmste Feind des eigenen Vorteils ist, einander verfeindet wurden.
Ganz unerwartet fand sich ein Helfer, der die beginnende
Umstimmung am Münchener Hofe zu fördern und für Deutschlands
große Sache zu verwerten verstand. Der Buchhändler
Freiherr v. Cotta
Im November eilte der Unterhändler wieder nach Berlin, diesmal mit einer förmlichen Beglaubigung versehen, und wurde von dem Könige aufs freundlichste aufgenommen. Die Berliner erzählten sich mit untertänigem Erstaunen, der einfache Buchhändler sei zur Tafel gezogen worden. Motz gab ihm nach längeren Verhandlungen die Punktation des Vertrags mit auf den Weg. Triumphierend meldete Cotta am 17. Dezember aus München: »Alles, was ich mitbrachte, war hier höchst erfreulich und willkommen«, bei König Ludwig wie bei dem Minister Armansperg. »Beide sind von den großartigen Ideen ergriffen, die einer Verbindung Preußens mit Bayern und Württemberg nach den von Hochdenselben entwickelten Grundsätzen als Leitstern vorgehen und zur Richtschnur dienen. Ich sehe schon im Geiste Ihre herrliche Idee in kurzer Frist realisiert«. Und am 20. Dezember nochmals: Wird auch Baden gewonnen, »so wäre der Grundstein im Süden Deutschlands zu dem Gebäude gelegt, das Ihr verehrter König und Sie zum Wohle und Gedeihen Deutschlands im Auge haben«.
Motz erwiderte: er hoffe »ein Werk zu begründen, an welchem nicht nur wir und unsere Zeitgenossen, sondern auch unsere Nachkommen Freude haben werden«. Der Mitteldeutsche Verein müsse offen bekämpft werden, »denn was wir gemeinschaftlich suchen, ein soviel möglich allgemeiner Markt in Deutschland, wird für Bayern, Württemberg und Preußen durch die Grundsätze dieses neutralen Vereins nicht nur befördert, sondern viele diesem Verlangen entgegenstehende Hindernisse nur noch mehr stabiliert«. Gleichzeitig schrieb er an den Kronprinzen von Preußen, der sich gerade am Münchener Hofe aufhielt, enthüllte ihm das Geheimnis der Mission Cottas, bat dringend um Unterstützung: der Vertrag sei politisch und volkswirtschaftlich hochwichtig, wenngleich die Zolleinnahmen wohl zunächst einige Einbußen erleiden würden. Der Prinz, der dem geistreichen Minister längst wohl wollte, nahm sich denn auch der Verhandlungen eifrig an.
Am 9. Januar 1829 konnte Cotta aus Stuttgart berichten, daß auch König Wilhelm die Hauptgrundsätze der preußischen Punktation gebilligt habe, und gegen Ende des Monats erschien der Unermüdliche zum drittenmal in Berlin. Der preußische Minister verlor zuweilen fast die Geduld bei allen den ängstlichen Vorbehalten, welche der süddeutsche Unterhändler stellen mußte, und klagte bitterlich über diesen »Hökerkram«. Gegen die vollständige Zollbefreiung der eigenen Produkte erhob Bayern Bedenken; man fürchtete in München die überlegene rheinische Industrie. Auch mit seinem Vorschlage, daß die bayrische Pfalz sofort dem preußischen Zollverein beitreten solle, drang Motz nicht durch; der Stolz der bayrischen Krone widerstrebte, auch der Münchener Landtag hätte der unerläßlichen Abänderung des pfälzischen Steuerwesens niemals zugestimmt. Noch weniger war auf Badens Beitritt zu hoffen. Der kleine Staat wollte die günstige Gelegenheit benutzen, um seinen Länderbestand für alle Zukunft sicherzustellen; er forderte, daß vor den Zollverhandlungen der Sponheimer Streit beigelegt werde. Da König Ludwig darauf nicht einging, so erkannte das Berliner Kabinett im Laufe des Winters selbst, daß man nicht wohl tue, die Verhandlungen noch mehr zu verwickeln, und ließ Baden vorläufig aus dem Spiele.
Am 6. März 1829 begannen endlich die amtlichen Verhandlungen
in Berlin. Die süddeutschen Kronen waren durch
ihre Gesandten Luxburg und Blomberg vertreten, den Ausschlag
gab Cotta, der von beiden Königen Vollmacht hatte.
Für Preußen erschienen Eichhorn und Schönberg, dazu Motz,
Maaßen und Finanzrat Windhorn. Auch Hofmann kam aus
Darmstadt herüber. Die ersten Kräfte der Regierung waren
aufgeboten; es galt, die Brücke über den Main zu schlagen.
Am 27. Mai 1829 wurde der Vertrag unterzeichnet. Preußen-
Hessen und Bayern-Württemberg versprachen einander bis
zum Jahre 1841 Zollfreiheit für alle inländischen Erzeugnisse
der Natur, des Gewerbefleißes und der Kunst; nur für eine
Reihe wichtiger Fabrikwaren sollte, auf Bayerns Andringen,
zunächst bloß eine Zollerleichterung um 25 Prozent eintreten,
bis allmählich die völlige Befreiung erfolgen könne.
Beide Teile verpflichteten sich, ihre Zollsysteme mehr und mehr
in Übereinstimmung zu bringen; alljährlich sollten Bevollmächtigte
Unbeirrt durch die Peinlichkeit der Einzelverhandlungen
hielt Motz seinen Blick fest auf die großen Verhältnisse des
Vaterlandes gerichtet; er wußte, daß er seinem Staate die
Bahn zu einer stolzen Zukunft geöffnet hatte. Im Juni
sprach er sich gegen den König über die politische Bedeutung
der geschlossenen Verträge offen aus. Seine Denkschrift wirft
zuerst einen Rückblick auf die vollendete Unfähigkeit des
Bundestags, der niemals in förmliche Beratung über die
Handelseinheit getreten sei; selbst während der Not von 1817
habe man in Frankfurt nur genau soviel getan, »um den
föderativen Nachbar, im buchstäblichen Sinne des Wortes,
nicht verhungern zu lassen. Wie konnte dies auch anders
sein, da dem Deutschen Bunde ein großer Staat an der Spitze
steht, der das ihm eigentümliche, seit 50 Jahren schon bestehende,
seinem privaten Interesse bis daher vermeintlich
zusagende, mit den Interessen der übrigen Staaten des Deutschen
Bundes aber nicht vereinbarliche Zoll- und Prohibitivsystem
aufzugeben nicht gewillt ist; da andere Bundesmitglieder
die Handelsinteressen ihrer Hauptstaaten denen ihrer
Bundeslande unterzuordnen nicht gemeint sind, vielmehr
letztere, natur- und sachgemäß, an die ersteren festgeknüpft
haben; und da wieder andere den Gegenstand mehr nur aus
fiskalischem wie aus staatswirtschaftlichem Gesichtspunkte
betrachtet wissen wollen? Der Deutsche Bund gab damit
ein Beispiel, wie die allgemeine Staatengeschichte bis dahin
noch keines aufzuweisen hat«; es entstand ein Handelskrieg
aller gegen alle, »der weit schlimmer war, als ein innerer
Krieg der Waffen nur je hätte sein können«. Dann erinnert
status quo, d. h. das Unerträgliche
aufrecht erhalten will; er zwang uns, sogleich weiter
zu gehen und das große Handelssystem zu begründen.
Dies System, fährt die Denkschrift fort, bietet erstens kommerzielle Vorteile. Die Verbindung umschließt schon jetzt 20 Millionen Einwohner, behauptet also den dritten Platz unter den europäischen Staaten, da Österreich kein einiges Machtgebiet bildet; sie wird auf 25 Millionen steigen, sobald der Mitteldeutsche Verein wahrnimmt, »daß er ganz und gar einen eitlen Zweck verfolgt«, und die süd- und mitteldeutschen Staaten nebst Mecklenburg uns beitreten; sie wird auf 27 Millionen steigen, wenn auch die anderen Staaten (soweit sie nicht Nebenlande sind), also Hannover, Braunschweig, Oldenburg und die Hansestädte eintreten. Der innere Verkehr ist wichtiger als der auswärtige Handel, jener schlägt dreimal, dieser einmal im Jahre das Kapital um. Manche deutsche Staaten erhalten durch das Handelssystem einen zwanzig- bis zweihundertmal größeren Markt für ihre Produkte. Dazu kommen zweitens die finanziellen Vorteile. Der Satz: »je billiger die Abgabe, desto größer der Ertrag«, wird sich auch diesmal bewähren, wenngleich vielleicht die erste Übergangszeit einige Ausfälle bringen mag. Wichtiger ist drittens der politische Gewinn. »Wenn es staatswissenschaftliche Wahrheit ist, daß Zölle nur die Folge politischer Trennung verschiedener Staaten sind, so muß es auch Wahrheit sein, daß Einigung dieser Staaten zu einem Zoll- und Handelsverbande zugleich auch Einigung zu einem und demselben politischen System mit sich führt.«
Nun wird in großen Zügen die friderizianische Politik
den Wittelsbachern gegenüber geschildert: wie Friedrich den
ersten Nichtösterreicher, Karl VII., auf den Kaiserthron erhoben,
dann durch den bayrischen Erbfolgekrieg und den
Fürstenbund Bayern dreimal vom Untergange gerettet habe.
Preußen hat bisher von alledem noch keine Frucht geerntet.
So der preußische Finanzminister, ein Jahr vor der
Julirevolution, zwei Jahre bevor Paul Pfizer
In einem Rundschreiben an ihre Gesandten sprach die
preußische Regierung offen aus: der Vertrag mit Bayern
stelle eine noch engere Vereinigung und die allmähliche Verwirklichung
der deutschen Handelseinheit in Aussicht. Noch
blieben am bayrischen Hofe tausend Bedenken zu überwinden.
König Ludwig, gewöhnt an unbedingte Selbstherrschaft,
zürnte heftig, weil seine Unterhändler in einigen Punkten
ihre Instruktionen überschritten hatten; er konnte das alte
süddeutsche Mißtrauen gegen die preußischen Kniffe nicht
überwinden, mäkelte an jedem Worte, fürchtete überall
doppelte Auslegung. Auch der berühmte Streit über das
Alternat
Nun der schwere Entschluß gefaßt war, segelte König
Ludwig sogleich mit rastlosem Ungestüm in dem neuen Fahrwasser
dahin. Er pries in überschwenglichen Worten die Redlichkeit,
die Mäßigung, die Größe der Ansichten des Berliner
Kabinetts, versicherte dem Bildhauer Rauch, wie stolz er
sei, mit dem Staate Friedrichs Hand in Hand zu gehen, wie
rechtschaffen und weise König Friedrich Wilhelm sich gehalten
habe. Die öffentliche Meinung im Süden nahm den Vertrag
voll Mißtrauens auf; eine Deputation, die dem Könige den
Dank der guten Stadt Nördlingen aussprach, blieb eine vereinzelte
Erscheinung. In den höheren Kreisen des bayrischen
Beamtentums fühlte man doch, daß endlich nach langen Irrfahrten
fester Ankergrund gefunden sei. Der Bundestagsgesandte
Lerchenfeld erhielt strenge Weisung, sich der mitteldeutschen
Zettelungen zu enthalten, und wirkte fortan zu
Frankfurt und Kassel redlich mit seinen preußischen Genossen
zusammen. Die freieren Köpfe ahnten von vornherein,
daß dies gesunde naturgemäße Bündnis zwischen den beiden
größten deutschen Staaten weiter führen mußte. Schon bei
den Berliner Verhandlungen hatte Hofmann die Frage aufgeworfen,
ob nicht Preußens westliche Provinzen mit dem
Süden sogleich einen wirklichen Zollverein bilden sollten.
In dieser unreifen Form war der Gedanke für Preußen unannehmbar.
Das Ausland und seine Gesellen, die Mitteldeutschen, sahen mit wachsendem Schrecken, wie Preußens Handelspolitik binnen Jahresfrist einen zweiten großen Erfolg errang. Vergeblich hatte das sächsische Kabinett noch während der Berliner Verhandlungen den Münchener Hof für den mitteldeutschen Bund geworben; vergeblich war der Nassauer Röntgen, jener alte vielgeschäftige Feind Preußens, nach Stuttgart gereist, um dort vorzustellen: Motz, der ruchlos ehrgeizige Kraftmensch, wolle Preußen durch die Entfesselung der industriellen Kräfte zur leitenden deutschen Macht erheben. In Berlin selbst arbeiteten einige Agenten des mitteldeutschen Vereins, so der Frankfurter Senator Guaita. Österreich sendete den Hofrat Eichhof nach München, um Bayern durch das Angebot einiger geringfügigen Handelserleichterungen von Preußen hinwegzulocken und zugleich den König Ludwig zu erinnern, wie feindselig Preußen in der Sponheimer Sache gehandelt habe. Münch in Frankfurt versuchte wieder einmal, den Darmstädter Hof gegen Hofmann, »dies Werkzeug Preußens«, einzunehmen. Die Diplomatie Englands, Frankreichs, Hollands — voran Lord Erskine und Graf Rumigny in München — ward nicht müde, vor Preußen zu warnen. Von allen fremden Mächten zeigte sich wieder nur Rußland als ein treuer Freund Preußens; Anstett in Frankfurt sprach offen und nachdrücklich für die Berliner Handelspolitik.
Nach und nach begann doch die vollendete Tatsache ihren Zauber zu üben. Wie lange sollte man noch die Klagen der mißhandelten Nation ertragen? Wie lange noch sich abquälen an allezeit vergeblichen Sonderbünden, während Preußen jede handelspolitische Verhandlung regelmäßig erfolgreich hinausführte? Selbst Blittersdorff, der rastlose Parteigänger Österreichs, gab nunmehr die Sache Habsburgs fast verloren. Wenn Preußen, so schrieb er, alle deutschen Staaten unter seinem Handelssystem vereinigt, dann ist Österreich faktisch aus dem Deutschen Bunde hinausgedrängt! Der Verkehr wird dadurch nicht zentralisiert, sondern, bei der großen Anzahl unserer kleinen Mittelpunkte, überall gleichmäßig belebt werden. Die Gefahren für die Souveränität sind geringer in einem großen Zollverein, als wenn man versucht, der Zeit in den Weg zu treten. —
Die preußisch-bayrischen Verhandlungen blieben ein
Schlag ins Wasser, solange der Verkehr zwischen den beiden
Staaten den willkürlichen »Retorsionen« des mitteldeutschen
Vereins unterlag. Die neue Straße von Westfalen durch
das darmstädtische Gebiet verband nur die westlichen Provinzen
Preußens mit den Ländern der süddeutschen Bundesgenossen
und führte überdies in der Frankfurter Gegend einige
Stunden lang durch mitteldeutsches Vereinsland. Sollte der
preußisch-bayrische Bund Lebenskraft gewinnen, so war eine
zollfreie Straße zwischen den Hauptmassen der beiden verbündeten
Zollvereine unentbehrlich. Da erinnerte sich Motz
zur guten Stunde an den Straßendünkel des Meininger
Reiches und an jenen untertänigen Entschuldigungsbrief des
Gothaer Herzogs. Wie nun, wenn Preußen dem Meininger
Lande die Mittel bot, jene Welthandelsstraße zwischen Italien
und der Nordsee wirklich zu bauen? Der Wunsch, den Verkehr
im Lande zu halten, blieb ja der höchste Gedanke, dessen die
Handelspolitik der Kleinstaaten jener Tage fähig war. Wie
oft sind die Staatsmänner der Ernestiner nach München oder
Berlin geeilt, um durch dringende Bitten den Bau einer
Umgehungsstraße zu verhindern; wie jammerte Frankfurt,
da im Frühjahr 1829 ein Spediteur Waren aus der Schweiz
nach Leipzig über Nürnberg sendete und billigere Fracht berechnete
als seine Frankfurter Konkurrenten. Diese Straßenpolitik
war das beste Rüstzeug des Mitteldeutschen Vereins,
Diese beiden unscheinbaren Verträge haben in Wahrheit
den Mitteldeutschen Verein vernichtet. Denn jetzt erst erhielt
der preußisch-bayrische Vertrag praktischen Wert. Motz eilte
selbst nach Thüringen, um den raschen Ausbau der Straßen
zu fördern. Sobald dieser zollfreie Straßenzug vollendet war,
standen die beiden verbündeten Zollvereine in gesicherter
geographischer Verbindung, ihre völlige Verschmelzung blieb
nur noch eine Frage der Zeit. Zugleich hatte das Berliner
Kabinett mit Mecklenburg den Bau einer neuen Straße von
Hamburg nach Magdeburg verabredet. Der mächtige Warenzug
zwischen der Nordsee und der Schweiz ward von Hannover,
Kassel und Frankfurt hinweggelenkt auf die Straße Magdeburg-Nürnberg.
Der Mitteldeutsche Verein, der Bayern
und Preußen auseinander halten sollte, wurde durch einen
Meisterstreich der preußischen Diplomatie selber in der
Mitte zerspalten. Immer wieder drängt sich der Gedanke
auf, wieviel langsamer der Knoten sich hätte entwirren
lassen, wenn ein Reichstag die diplomatische Aktion des
Berliner Hofes lähmte. Wer diese unterirdische Arbeit auf
ihren verschlungenen Wegen verfolgt, der muß, wo nicht
billigen, so doch verstehen, daß ein freier Geist wie Trendelenburg
Preußen vollzog mit jenen zwei Verträgen nur eine Tat erlaubter Kriegslist wider erklärte Gegner, und doch keinen feindseligen Schritt, keine gehässige Retorsion. Die Niederlage des Mitteldeutschen Vereins war um so vollständiger, da niemand das Recht hatte, sich über Preußen zu beklagen. Während sonst die Handelspolitik den Feind durch Handelserschwerungen zu schlagen sucht, entwaffneten Motz und Eichhorn den Kasseler Sonderbund durch die Erleichterung des deutschen Verkehrs; sie konnten sogar den Dank der Mitteldeutschen beanspruchen für die Eröffnung einer zollfreien Straße. Den beiden thüringischen Fürsten freilich gereichte der Hergang nicht zur Ehre. Verlockt durch die Aussicht auf den Besitz einer großen Handelsstraße, wurden die Herzöge zu Verrätern an ihren mitteldeutschen Verbündeten. Sie verletzten zwar nicht den Wortlaut, doch den Sinn des Kasseler Vertrages, der den Bundesgenossen allerdings den Abschluß von Handelsverträgen gestattete, aber unzweifelhaft den Zweck verfolgte, die Erweiterung des preußischen Zollsystems zu verhindern. Das böse Beispiel weckte bald Nachahmung. Der Mitteldeutsche Verein, gegründet durch partikularistische Selbstsucht, sollte ein würdiges Ende finden; er sollte nach und nach zerbröckeln durch ein frivoles Spiel mit Treu und Glauben.
Zugleich bereitete Motz in diesem tatenreichen Sommer den Mitteldeutschen noch eine Überraschung, die ihrem Handel Segen, ihrem Sonderbunde Verderben brachte. Er verständigte sich mit den Niederlanden über die Rheinschiffahrt und eröffnete also seinen süddeutschen Verbündeten die Aussicht auf freien Verkehr mit der Nordsee. Sobald der britische Kaufmann seine Waren zollfrei rheinaufwärts bis nach Frankfurt und Mannheim senden konnte, mußte England das Interesse an dem Mitteldeutschen Verein verlieren, und dem Sonderbunde war eine mächtige Stütze entzogen. —
Nach so gründlichen Niederlagen hätten ernsthafte
Staatsmänner den Sonderbund als einen verunglückten Versuch
Seit dem Juni 1829 tagte in Kassel abermals der Kongreß
der Mitteldeutschen — ein Bild vollendeter Ratlosigkeit,
ohnmächtigen Grolles. Alles tobte wider die Verräter in
Meiningen und Gotha, die dem Verein »ein wichtiges Objekt«
geraubt hatten; man sendete Kommissäre hinüber, um die
beiden Herzöge zu verwarnen. Alles zitterte vor der freien
preußischen Handelsstraße Hamburg-Nürnberg. Selbst die
patriotische Hoffnung, daß Dänemark vielleicht den Bau
Von neuem tauchte der Gedanke auf, mehrere Bünde im Bunde zu bilden — zwei, drei oder vier, was verschlug es? Diese politischen Mollusken ließen sich doch in jede beliebige Form pressen. Hannover wünschte einen Sonderbund der Küstenstaaten. In lehrhafter Denkschrift bewies Smidt von Bremen, daß die Vereinsstaaten teils in horizontaler, teils in vertikaler Richtung zu den großen deutschen Handelsstraßen lägen; sie möchten also zwei oder drei Gruppen bilden. Die freie Stadt Bremen, versteht sich, müsse unabhängig bleiben, denn sie »qualifiziert sich von selbst als eine Ausnahme von der Regel des Handelsvereins«. Indes begann dem gewiegten Handelspolitiker doch unheimlich zu werden; er riet dringend zu Verhandlungen mit den beiden anderen Zollvereinen.
Unverhohlen sprach sich die ängstliche Unlust der thüringischen Staaten aus. Reuß beantragte sofort Verhandlungen mit Preußen zu eröffnen; Meiningen und Gotha drohten, ihres eigenen Weges zu gehen, wenn der Verein nicht mit Preußen sich verständige. Geschäftig trugen die Bevollmächtigten der kleinen Thüringer dem preußischen Gesandten Hänlein die Geheimnisse des Vereins zu. Doch die größeren Staaten Hannover, Sachsen, Hessen, Weimar blieben hartnäckig. Die rastlosen Treiber Carlowitz, Grote, Conta brachten endlich am 11. Oktober 1829 einen neuen Bundesvertrag zustande. Die Verpflichtung, einseitig keinem auswärtigen Zollverein beizutreten, wurde verlängert bis zum Jahre 1841, weil der preußisch-bayrische Vertrag bis zu diesem Jahre währte. Die Durchfuhrzölle auf den großen, das Ausland mit dem Auslande verbindenden Straßen sollten nur nach gemeinsamer Verabredung verändert werden. Es lag auf der Hand, daß dieser Artikel allein bestimmt war, den Verkehr zwischen Preußen und Bayern zu erschweren, die Wiederholung der Gothaer und Meininger Vorgänge zu verhindern. Preußen versuchte auch sofort den Beschluß zu hintertreiben. Eichhorn schrieb an Bülow in London: »von der kurhessischen Regierung ist man schon lange gewohnt, daß sie das Verkehrte tut und keine Verhältnisse achtet«; unbegreiflich aber sei Hannovers Verhalten; der Gesandte solle daher in London nachdrückliche Beschwerden erheben. Trotzdem ging der Beschluß durch, und nach dieser unzweideutigen Feindseligkeit bestimmte man in Kassel noch, daß Sachsen, Hannover und Kurhessen im Namen des Vereins Verhandlungen mit Preußen eröffnen sollten — jenes Kurhessen, das sich in den gröbsten Beleidigungen gegen den Berliner Hof erging!
Im übrigen blieb auch dieser zweite Vertrag nahezu
inhaltlos; keine irgend erhebliche Verkehrserleichterung war
vereinbart. Daher erhob sich sofort nach dem Abschlusse des
Vertrages überall heftiger Widerstand. Die Ratifikation
konnte erst im April 1830 erfolgen. Meiningen und Gotha
versagten ihre Zustimmung. Die reußischen Länder folgten
am 9. Dezember 1829 dem Beispiel ihrer Nachbarn, sie vereinbarten
mit Preußen Handelserleichterungen und Straßenbauten
und versprachen, dem preußischen oder dem bayrischen
Bei der verblendeten Selbstüberschätzung dieser Kabinette
läßt sichs nicht leicht entscheiden, ob die drei führenden
Mittelstaaten ernstlich hofften, Zugeständnisse von Preußen
zu erlangen, oder ob sie die Verhandlungen mit dem Berliner
Hofe lediglich begannen, um ihre unzufriedenen thüringischen
Bundesgenossen zu beschwichtigen. Genug, das
hannöversche Kabinettsministerium richtete schon am
l4. August an Bernstorff die Frage, ob Preußen mit den Verbündeten
unterhandeln wolle, und fügte in der üblichen
hochtrabenden Weise hinzu: »Der Verein sei wohl imstande,
solche Vorteile anzubieten, welche die Zugeständnisse aufwiegen
dürften«. In Berlin ergriff man die Gelegenheit,
den Mitteldeutschen unumwunden die Meinung zu sagen
und zugleich den nationalen Sinn der preußischen Handelspolitik
Sachsen und Kurhessen unterließen nunmehr jede Anfrage;
indes konnte sich der Dresdener Hof eine Rechtfertigung
seiner Handelspolitik nicht versagen. Geh. Rat v. Könneritz
Unterdessen arbeitete Hannover heimlich an einem Verein
der Küstenstaaten. Am 27. März 1830 kam zu allgemeiner
Überraschung der Eimbecker Vertrag zustande, ein Werk
Grotes, die Grundlage des späteren norddeutschen Steuervereins.
Hannover, Oldenburg, Braunschweig und Kurhessen
verpflichteten sich, innerhalb des Mitteldeutschen Vereins
einen Zollverein mit gemeinschaftlichen niedrigen Zöllen zu bilden.
Vorderhand war alles freilich noch Entwurf. Daß die Küstenstaaten
sich zusammentaten, erschien nicht ganz unnatürlich;
Motz selbst urteilte mild über den Eimbecker Vertrag. Hannover
Das war die Lage der deutschen Volkswirtschaft, als die Julirevolution hereinbrach, das alte System in den Hauptstaaten des Mitteldeutschen Handelsvereins über den Haufen warf und also dem Verein den letzten Stoß gab.
Motz selber sollte den vollständigen Sieg seiner Ideen
nicht erleben; er starb, erst vierundfünfzigjährig, am 30. Juni
1830. Er nahm ins Grab die feste Zuversicht, daß Preußens
Handelspolitik die eingeschlagenen Bahnen nicht mehr verlassen
könne; »mein eigenes Departement macht mir am
wenigsten Sorge«, sagte er oft in seinen letzten Tagen. Wie
gänzlich hatte sich Preußens deutsche Machtstellung verändert
in den fünf Jahren, seit dieser Mann den Staatshaushalt
leitete! Die ausländische Presse selbst, die sonst so gleichgültig
an den deutschen Dingen vorüberging, fing schon an
aufzumerken. Wenn diese Staaten, schrieb der Constitutionnel,
schon die Einheit ihrer Handelsinteressen erkennen, so werden
sie auch bald entdecken, daß sie dieselben politischen Interessen
haben, und das wird ein Sieg sein über Österreich.
Die Edinburgh Review aber sagte mit jener englischen Bescheidenheit,
die sich auch im Lobe nie verleugnet: »Die preußische
Handelspolitik, die vielleicht der jedes anderen Staates
in der Welt überlegen ist, verdankt ihren Ursprung wahrscheinlich
dem Selbstbereicherungstriebe eines absoluten Herrschers.«
Vor kurzem noch verhaßt und gemieden, war Preußen
jetzt mit den bekehrten Kernlanden des Rheinbundes zu einem
großen nationalen Zwecke verbündet. Das vor zehn Jahren
von ganz Deutschland bekämpfte preußische Zollgesetz begann
Motz hatte in einem kurzen diplomatischen Kriege, der mit seinen fest und sicher geleiteten weitverzweigten Verhandlungen an die Entstehung des fridericizianischen Fürstenbundes erinnert, nicht bloß den Gegenzollverein nahezu gesprengt, sondern auch durch geistige Waffen die Gegner geschlagen, den Unsinn des feindlichen Unternehmens dargetan und vor aller Welt erwiesen, daß Österreich für die Nöte der Nation nur leere Worte hatte, Preußen die heilende Tat. Nicht eine zufällige Verkettung der Umstände führte den Süden auf kurze Zeit mit dem Norden zusammen, wie einst die Genossen des Fürstenbundes. Die Gemeinschaft, die jetzt sich bildete, war unzerstörbar. Sie entsprang den Lebensbedürfnissen eines arbeitenden Jahrhunderts, und über ihren unscheinbaren ersten Anfängen waltete der freie Geist eines Mannes, der fast allein in müder, verdrossener Zeit schon hellen Auges die schlummernden Kräfte des germanischen Riesen erkannte, die große Zukunft des »in Wahrheit verbündeten Deutschlands« ahnte.
Quelle: H. v. Treitschke, Deutsche Geschichte usw. III, 623ff.
Nach dem Tode Motzs … erhielt sein Freund Maaßen, der Begründer
des Zollgesetzes, die Leitung des Finanzwesens.
Die Wahl des Königs konnte keinen würdigeren Mann
treffen. Maaßen überragte den Verstorbenen durch umfassende
Sachkenntnis; klug, gerecht, wohlwollend, verstand er bei
den Unterhandlungen, sich das Vertrauen der argwöhnischen
kleinen Kronen stets zu erhalten. Freilich fehlten ihm der
kühne Wagemut und der weite staatsmännische Blick des
Vorgängers; er ließ die Dinge gern an sich kommen und hegte
nicht wie jener den Ehrgeiz, auf die Leitung der gesamten
Die Nachspiele der Julirevolution gereichten der preußischen Handelspolitik zum Vorteil; sie räumten plötzlich alle die Hemmnisse hinweg, welche das alte System in den norddeutschen Mittelstaaten dem Zollverbande entgegenstellte. Durch den Untergang der ständischen Anarchie in Sachsen, der despotischen Willkür in Hessen war die Verwaltung beider Länder den preußischen Institutionen angenähert worden; früher oder später mußte die Verständigung erfolgen. In Kurhessen zunächst wurde die Morschheit des alten Mautwesens offenbar. Nicht zuletzt die wirtschaftliche Not hatte die Volksbewegungen im Herbst 1830 hervorgerufen. Das Ländchen mit seinen 154 Geviertmeilen besaß 154 Meilen Zollgrenze. Frecher als irgendwo auf deutschem Boden gedieh hier der Schmuggel; in geschlossenen Scharen zogen die Schwärzer aus, maßen sich mit den Zollwächtern in offenem Gefechte. Während die Kosten der Zollverwaltung den Ertrag der Eingangsabgaben fast verzehrten, begann jetzt auch der ergiebige Durchfuhrzoll zu versiegen, da der Transit sich nach der neuen Thüringer Straße hinüberzog. Als die Unruhen ausbrachen, verließen alle Mautbeamten im Hanauischen und Fuldischen ihre Amtshäuser; Massen fremder Waren strömten unverzollt ins Land, und der Bundesgesandte Meyerfeld erklärte dem Bundestage, die Regierung dürfe nicht wagen, die Zollämter wieder herzustellen. Entsetzt schrieb Blittersdorff: »Die Mauten können leicht für ganz Deutschland ein Losungswort des Aufruhrs werden.«
Doch wie konnte Kurhessen aus dem unerträglichen Notstande
heraus? Die Regierung war zwiefach gebunden:
durch den Mitteldeutschen Handelsverein und durch den Eimbecker
Unterdessen hatte Motz, ein Verwandter des preußischen
Ministers, das hessische Finanzministerium übernommen.
Die Anarchie im Zollwesen ward unhaltbar; die Kommissäre
des Eimbecker Vereins, die in Hannover tagten, konnten sich
nicht einigen. Motz und sein wackerer Amtsgenosse Schenk
zu Schweinsberg bewogen endlich den Kurfürsten, daß er
die Geheimräte Ries und Meisterlin im Juni nach Berlin
schickte, um mit Preußen-Darmstadt und Bayern-Württemberg
zugleich einen Zollverein zu schließen. Doch unerbittlich
hielt Eichhorn den beiden Bevollmächtigten den alten preußischen
Grundsatz entgegen: Verhandlungen mit mehreren
Staaten zugleich sind aussichtslos. Vergeblich sträubte sich
der Kurfürst; man mußte sich der Forderung des Berliner
Hofes fügen, mit Preußen-Darmstadt allein verhandeln. In
Der Vertrag war für Kurhessen eine politische Notwendigkeit,
er rettete das Land aus namenlosem Elend.
Selbst der Kasseler Landtag wagte nicht zu widersprechen.
Die mitteldeutschen Verbündeten freilich drohten und lärmten.
Nicht ohne Grund: Kurhessen hatte in den rohesten Formen
seine Vertragspflicht gebrochen, ohne auch nur ernstlich eine
Verständigung mit den alten Bundesgenossen zu versuchen.
Für Preußen dagegen war ein klarer Gewinn errungen.
Wie die Gotha-Meininger Straße den Verkehr mit dem Süddeutschen
Verein gesichert hatte, so wurde jetzt die lang ersehnte
Durch den Abfall Kurhessens ward der Mitteldeutsche
Handelsverein vernichtet. Der Liberalismus freilich kam so
schnell nicht los von den liebgewonnenen Phrasen. In Bayern
deklamierte Siebenpfeiffer gegen die Maut: sie hätte zur Volkssache
werden sollen und ist zur Volksfeindin geworden! Stromeyer
in Baden schrieb in die gefürchtete Zeitschrift »Rheinbayern«
einen donnernden Artikel: Die preußische Aristokratenstirne
wagt es, sich an das Nationalgefühl zu wenden!
In Preußen herrscht, härter als irgendwo auf der Welt, die
eiserne Konsequenz des Merkantilsystems; der Mitteldeutsche
Verein vertritt die Freiheit. Darum soll Baden festhalten
an seinem trefflichen liberalen Zollwesen. Dann wird Württemberg,
das ohnedies durch seine hohe politische Bildung
dem konstitutionellen Musterstaate nahe steht, und bald auch
das konstitutionelle Bayern, Sachsen, Kurhessen dem badischen
System sich anschließen! — Auch einer der edelsten und gelehrtesten
Vertreter deutscher Wissenschaft brach eine Lanze
für den sterbenden Sonderbund. Johann Friedrich Böhmer
Die sächsischen Höfe waren längst nicht mehr in der Lage, solchen Schrullen nachzuhängen. Die Not des Haushalts, das laute Murren des Volkes zwang sie, demütig bittend in Berlin anzuklopfen. Armselige Advokatenkünste mußten vorhalten, um den Vertragsbruch zu beschönigen. Meiningen behauptete, der Mitteldeutsche Verein sei durch den Eimbecker Vertrag zerrissen worden, er bestehe nicht mehr zu Recht. Der Verrat des einen diente dem anderen zum Vorwande; sobald die kleinen Thüringer schwankten, berief sich das Dresdner Kabinett auf den Artikel des Kasseler Vertrages, wonach die gänzlich vom Auslande umschlossenen Gebietsteile den Satzungen des Vereins nicht unterliegen sollten. Das sei jetzt Sachsens Fall, wenn Thüringen sich mit Preußen verständige — eine offenbare Sophisterei, da jene Klausel sich nur auf entlegene Enklaven bezog. Wollte der sächsische Hof ehrenhaft verfahren, so mußte er sofort einen neuen Kongreß der mitteldeutschen Verbündeten berufen, dort die Auflösung des unhaltbaren Vereins beantragen und dann erst mit Preußen unterhandeln. Aber die alte Politik der Winkelzüge, der Halbheit, des Mißtrauens gegen Preußen wurde selbst unter dem neuen Ministerium Lindenau nicht sogleich aufgegeben. Die sächsische Regierung glaubte, ihre Wünsche in Berlin sicherer durchsetzen zu können, wenn sie an dem Gespenste des Mitteldeutschen Vereins noch einen Rückhalt hätte; sie begann mit Preußen zu verhandeln, noch bevor sie ihrer älteren Verpflichtung entbunden war.
Nachdem das Dresdner Kabinett schon im August 1830
bei den süddeutschen Kronen leise angefragt, mußte sich der
alte König Anton endlich entschließen, an den König von
Preußen selber zu schreiben. Er beteuerte, daß er längst die
Absicht gehabt, mit Preußen in kommerzielle Verbindung
zu treten »und somit im Sinne des hochwichtigen und wohltätigen
Zwecks zu handeln, dessen Erreichung von Ew. Majestät
Noch kläglicher war die Demütigung Weimars. Derselbe
Minister Schweitzer [S. Fußnote S. 132], der seit Jahren das preußische Zollsystem
als den Todfeind deutscher Handelsfreiheit bekämpft
hatte, versicherte im Juli 1830 dem Auswärtigen Amte:
»daß zur Förderung des von dem König von Preußen begonnenen,
in seinen Zwecken und seinen Gründen immer klarer
hervortretenden deutschen Werkes, also zur Förderung eines
freien Handels und Verkehrs im deutschen Vaterlande von
Preußen aus, der Großherzog von Weimar im Einverständnis
mit dem Königreich Sachsen mit Vergnügen die Hand bieten
wird.« Dann sang der weimarische Minister Fritsch [S. Fußnote S. 47] die
Totenklage des Sonderbundes: »Auf hinreichende Zeit zur
Ausbildung des Vereins ist nicht mehr zu rechnen, nachdem
die großen welthistorischen Ereignisse seit dem 25. Juli 1830
und deren Folgen auf deutschem Boden eine weit schleunigere
Hilfe notwendig gemacht, man kann sagen, die Übel, welche
als chronische behandelt werden sollten, in akute verwandelt
haben. Nur Schaden, nur Verderben könnte es bringen,
wenn man sich unter solchen Umständen noch gegenseitig beschränken,
sich zum Nichtstun verpflichtet halten wollte in
einer Zeit, welche in allen öffentlichen Dingen ganz andere
Forderungen stellt. Was uns die Jahre 1829 und 1830
Friedrich Wilhelm antwortete dem König von Sachsen sehr freundlich, er sei bereit, Sachsens Anträge zu erwägen, und sprach sich zugleich offen aus über die nationalen Ziele seiner Handelspolitik: »Wiewohl der Abschluß dieser Verträge stets nur mit einzelnen Staaten erfolgte, so hatte man dennoch dabei nicht ein ausschließliches Interesse der unmittelbar Beteiligten im Auge, sondern man verfolgte zugleich den Gesichtspunkt, daß die einzelnen Verträge als Mittel dienen möchten, der Freiheit des Verkehrs in Deutschland überhaupt eine größere Ausdehnung zu geben.« Dem weimarischen Hofe drückte der Minister des Auswärtigen seine Freude aus, daß unser Werk auch in den Augen Weimars »immer klarer als ein deutsches Werk hervortritt«; dann wiederholte er in schneidenden Ausdrücken die hundertmal von Preußen ausgesprochene Ermahnung: die Thüringer sollten sich erst unter sich verständigen, bevor Preußen mit ihnen verhandeln könne.
Nach solchen Erfolgen stand in Berlin fester denn je die
Überzeugung, daß der eingeschlagene Weg der Einzelverhandlungen
allein zum Ziele führe. Mit voller Sicherheit
schrieb Bernstorff dem König: »Die Schöpfung eines allgemeinen
deutschen Zoll- und Handelssystems oder irgendeiner
anderen bleibenden Institution ähnlicher Natur ist eine
Aufgabe, deren Lösung dem Bunde solange unmöglich
bleiben wird, als derselbe nicht eine andere, von der jetzigen
ganz verschiedene Organisation besitzt«. Seit dem Zerfall
des mitteldeutschen Sonderbundes schien die Bahn frei für
die vollständige Vereinigung der beiden befreundeten Zollvereine
des Südens und des Nordens. Was sollte jetzt noch
hindern, da beide Teile die Unhaltbarkeit des bestehenden
Zustandes lebhaft empfanden? da die zwischenliegenden
Staaten nicht mehr feindlich im Wege standen, sondern selbst
um ihre Aufnahme baten? da das Grundgesetz des preußisch-hessischen
Vereins sich von selber darbot als die Regel für den
Der Handelsvertrag zwischen Preußen-Hessen und Bayern-
Württemberg war von vornherein in der Absicht fortschreitender
Erweiterung abgeschlossen. In München aber begann
die ultramontane Partei, sofort an dem neuen Bunde zu
zerren und zu nagen. Ihre Führer, Schenk
Eine handelspolitische Verständigung zwischen Bayern und Baden blieb aber völlig aussichtslos, solange die beiden Höfe einander noch als Feinde betrachteten und König Ludwig seine traumhaften Ansprüche auf badisches Gebiet nicht aufgab. Als Großherzog Ludwig starb und sein Nachfolger sogleich von allen Mächten anerkannt wurde, da wagte man in München gar nicht mehr wie früher zu behaupten, daß mit der Thronbesteigung der Hochbergischen Linie das Haus der Zähringer ausgestorben sei. Der Wittelsbacher trug seine vorgeblichen Ansprüche auf den »Heimfall« der badischen Pfalz stillschweigend zu Grabe. Um so mehr lag ihm daran, mindestens durch eine kleine Gebietserweiterung der Welt zu beweisen, daß Bayern doch nicht ganz im Unrecht gewesen sei.
Gegen Ende Mai 1830 erschien Armansperg in tiefem
Geheimnis zu Berlin und bat um Preußens gute Dienste.
König Friedrich Wilhelm übernahm die Vermittlung, im Verein
mit dem König von Württemberg, und ließ den badischen
Minister Boeckh nach Berlin einladen. Er hoffte nicht nur den
leidigen Gebietsstreit beizulegen, sondern auch Baden zum
Eintritt in den Bayrisch-Württembergischen Zollverein zu bewegen.
Am 10. Juli brachte Bernstorffs versöhnliches Zureden
endlich eine Übereinkunft zustande, kraft deren Baden
dem süddeutschen Verein beizutreten versprach; dafür wollten
beide Teile auf ihre Sponheimer Erbansprüche verzichten.
Um Bayern gänzlich zufrieden zu stellen, wurde noch ein
geringfügiger Gebietsaustausch irgendwo an der badischen
Sobald man jedoch über die Ausführung der Übereinkunft verhandelte, verlangte Bayern einen Zuwachs von etwa 20000 Einwohnern und setzte erst nach langem Feilschen seine Forderung ein wenig herab; das schöne Wertheim vornehmlich, das Heidelberg der Mainlande, erschien dem romantischen Wittelsbacher unwiderstehlich verlockend. Der Karlsruher Hof wies jede größere Gebietsabtretung entschieden zurück und verschanzte sich hinter der gesinnungstüchtigen Entrüstung seines Volkes. Die Stadt Wertheim selbst hatte freilich gegen die Abtretung wenig einzuwenden, weil die Beamten den Main-Tauberkreis als das badische Sibirien behandelten; auch der Fürst Georg von Löwenstein, der dort Hof hielt, wollte sich als treuer deutscher Patriot den Herrschaftswechsel wohl gefallen lassen, wenn dadurch nur endlich das Elend der Binnenmauten aufgehoben würde. Anders empfand die große Mehrzahl der Liberalen; sie dachte von dem Musterlande der konstitutionellen Freiheit nicht eine Geviertmeile aufzuopfern, und ihr Entschluß stand um so fester, da sie auch den Zollvereinsplänen mißtraute. Der Hauptverkehr des langgestreckten Landes ging von Norden nach Süden und konnte durch den Anschluß an Bayern-Württemberg wenig gewinnen. Man übersah oder wollte übersehen, daß dieser Anschluß nur das Mittel bilden sollte zur späteren Vereinigung mit Preußen; unleugbar war der bayrische Plan zu fein, zu verwickelt, um sogleich vom Volke verstanden zu werden.
Überall in Baden sprach man begeistert von einem
gesamtdeutschen Zollverbande; denn soviel Boden hatte die
Idee der deutschen Handelseinheit durch Preußens Siege doch
gewonnen, daß niemand mehr sie schlechthin zu verwerfen
wagte. Freilich benutzten viele badische Liberale das schöne
Wort vom allgemeinen deutschen Zollverein nur als ein Schurzfell,
um die Blöße ihrer partikularistischen Selbstsucht zu bedecken.
Wie behaglich lebte sichs doch unter der badischen
Handelsfreiheit — auf Kosten der lieben Nachbarn! Mit
Stolz sah der Badener — so sagte eine Flugschrift des Rastatter
So schleppte sich der Zank durch fast anderthalb Jahre
dahin. Die beiden vermittelnden Höfe boten alle ihre Beredsamkeit
auf. Der Berliner sprach sanft, der Stuttgarter
schroff: denn König Wilhelm sah sein Land unmittelbar
unter dem badischen Schmuggel leiden, er drohte dem Karlsruher
Hofe geradezu: Bayern und Württemberg würden
»dem bisherigen ganz feindseligen Betragen Badens gemeinschaftlich
ein jedes Mittel entgegensetzen, um nicht mitten
in unserem Verein das System einer Regierung zu sehen,
das mit Vorbedacht Unzufriedenheit und Unruhe in unserer
so bedenklichen Zeit stiftet«. Ebenso vergeblich schrieb König
Ludwig selbst in seinem wuchtigsten Partizipialstile an den
Großherzog: »durch meine letzten Vorschläge habe ich das
Äußerste getan, um die Sponheimer Angelegenheit zur Ausgleichung
zu bringen, von und großem Wert ist mir die von
Ew. K. Hoheit ausgedrückte Willfährigkeit, damit sie und
Beitritt zum Zollverein stattfinde, überzeugt, daß fester Wille
Dem gefeierten Fürsten ward bei dieser Begeisterung
seiner getreuen Opposition sehr schwül zu Mute. In einem
flehentlichen Briefe wendete er sich abermals hilfesuchend
an Bernstorff … , und wirklich unterzog sich der geduldige preußische
Minister noch einmal den undankbaren Mühen der
Vermittlung. König Ludwig aber empfand jenen Beschluß
des badischen Landtages als eine persönliche Beleidigung; er
hielt es für schmachvoll, eine Forderung, die schon soviel
Staub aufgewirbelt hatte, ohne jede Entschädigung fallen
Nach alledem war eine Verständigung zwischen Bayern
und Baden vorläufig undenkbar. Der deutschen Handelseinheit
aber kam jener ablehnende Beschluß der badischen
Kammern seltsamerweise zu gute. Der künstliche Gedanke,
zunächst den süddeutschen Verein zu vergrößern und dann erst
die Vereinigung mit dem Norden zu suchen, war fortan beseitigt.
Die oberdeutschen Königshöfe, außerstande, ihren
unergiebigen Sonderbund aufrecht zu halten, sahen sich genötigt,
statt des Notbehelfs sogleich das durchschlagende Mittel
zu wählen; sie stellten jetzt bei dem preußischen Kabinett
den Antrag auf völlige Vereinigung. Im Dezember 1831
wurden die Verhandlungen in Berlin eröffnet. Doch sofort
ergab sich eine Fülle gewichtiger Bedenken. Preußen hatte
schon durch die Aufnahme der beiden Hessen ein fühlbares
finanzielles Opfer gebracht; der Ertrag seiner Zölle, der um
1829 gegen 25,3 Sgr. für den Kopf der Bevölkerung abwarf,
begann bereits zu sinken. Durfte man auch die oberdeutschen
Lande, die von Kolonialwaren noch weit weniger verzehrten
als die beiden Hessen, zu den gleichen Bedingungen aufnehmen?
Die Finanzpartei in Berlin fürchtete schwere Verluste,
wie denn in der Tat Preußen im Durchschnitt der Jahre
1834–1839 nur 22 Sgr. auf den Kopf erhalten hat. Sie
verlangte entschieden ein Präcipuum zugunsten Preußens;
Die Einführung der preußischen Konsumtionssteuern war in Hessen ohne Schwierigkeit erfolgt; Bayern aber sah sich außerstande, seine Malzsteuer abzuändern. Während Preußen kaum 1,3 Millionen Taler, 3 Sgr. auf den Kopf, durch die Besteuerung des Bieres bezog, gewann Bayern allein in seinem rechtsrheinischen Gebiete 5 Millionen Gulden, 21 Sgr. auf den Kopf, und aus diesem Ertrage mußte nach der Verfassung die Staatsschuld verzinst werden. Unmöglich konnte Preußen seine Biersteuer zu der gleichen Höhe hinaufschrauben. Der angestammte Durst ließ sich ebenso wenig in den Norden verpflanzen wie die Realgerechtigkeiten der bayrischen Brauer, die jenen reichen Steuerertrag erst ermöglichten, aber den Grundsätzen der preußischen Gewerbefreiheit widersprachen. Da die gleichmäßige Besteuerung der inländischen Konsumtion mithin unausführbar blieb, so bestand die preußische Finanzpartei hartnäckig auf der Einführung von Ausgleichungsabgaben. Die an sich richtige Meinung, daß jede Zollgemeinschaft die annähernde Gleichheit der indirekten Steuern voraussetze, war seit dem Jahre 1818 eine der leitenden Ideen der preußischen Handelspolitik. Die Berliner Finanzmänner hatten sich so tief in diesen Gedanken eingelebt, daß sie ihn alsbald mit fiskalischer Härte auf die Spitze trieben. Die Ausgleichungsabgaben sind lange, wesentlich durch Preußens Schuld, ein wunder Fleck der Zollgesetze geblieben; sie belästigten den Verkehr und brachten geringen Ertrag, auch nachdem sie späterhin die rein fiskalische Gestalt der »Übergangsabgaben« annahmen.
Irrte Preußen in dieser Frage, so erhoben auch die Südstaaten
höchst unbillige Ansprüche. Sie verlangten anfangs
eine völlige Umgestaltung des Tarifs und fanden namentlich
die preußischen Zölle auf Baumwollenwaren unerträglich
hoch, da sie selbst noch fast gar keine Baumwollspinnereien
besaßen. Und doch konnte Preußen nicht nachgeben. Sachsens
Eintritt stand bevor, die preußische Industrie klagte laut über
So mannigfache sachliche Bedenken ins Gleiche zu bringen,
konnte nur erprobter staatsmännischer Kraft gelingen. Die
oberdeutschen Höfe aber hatten, töricht genug, zwei junge
Subalternbeamte für diese schwierige Mission bevollmächtigt,
vermutlich nur aus Sparsamkeit. Die Ersparnis sollte ihnen
teuer zu stehen kommen. Eichhorn hatte an den Unterhändlern
der Kleinstaaten schon des Wundersamen viel beobachtet;
eine Persönlichkeit wie dieser württembergische Bevollmächtigte,
der Assessor Moritz Mohl
Moritz Mohl schrieb nun eine ungeheure Denkschrift
und bewies, daß der Zollverein mit Preußen den sicheren
Untergang Württembergs herbeiführen müsse. Ein Menschenalter
darauf hat Freiherr v. Varnbüler dies klassische Aktenstück
der Vergessenheit entrissen, um der Welt den Weitblick
des Volksmannes zu zeigen. König Wilhelm wünschte
nach wie vor den Abschluß, selbst Wangenheim hatte einiges
gelernt, mahnte aus der Ferne zur Verständigung. Doch die
große Mehrheit im Lande widerstrebte. Die Fabrikanten, die
bisher aus der Beherrschung des bayrischen Marktes großen
Gewinn gezogen, fürchteten die Industrie des Niederrheins,
die Bequemlichkeit des mächtigen Schreiberstandes zitterte
vor der strengen preußischen Kontrolle, der gesinnungstüchtige
Liberale schlug ein Kreuz vor dem Schreckbilde des
norddeutschen Absolutismus. Mehr als ein halbes Jahr
brauchten die süddeutschen Höfe, um sich einen neuen Entschluß
zu bilden. Unterdessen trieb die Diplomatie Österreichs
und der auswärtigen Mächte ihr verdecktes Spiel an
den Höfen der Mittelstaaten. Eine Zeitlang stand die große
Sache fast hoffnungslos. Baden tut wohl, alle Zollvereinsgedanken
So verging das Jahr in leidiger Verstimmung. Da raffte
sich endlich König Ludwig auf und ließ am Silvesterabend
eine derbe Note an Schmitz-Grollenburg schreiben: Der Süddeutsche
Verein sei tatsächlich aufgelöst, die Wiederaufnahme
der preußischen Verhandlungen schlechthin unvermeidlich.
Zugleich kam vom Berliner Hofe eine ernste Mahnung:
wolle man zu Ende gelangen, so müsse statt unbrauchbarer
Subalternen ein fähiger hochgestellter Staatsmann die Unterhandlungen
in Berlin führen. Der Rat wirkte. Zu Ende
Januars l833 wurde der bayrische Finanzminister v. Mieg
als gemeinsamer Bevollmächtigter der beiden Kronen nach
Berlin gesendet: ein Jugendfreund König Ludwigs …, ein
trefflicher Beamter von großer Sachkenntnis und seltener
Arbeitskraft, die der König nach seiner Weise bis auf den
letzten Tropfen auspreßte — in der Handelspolitik sehr frei
gesinnt, dabei gütig und liebenswürdig, hochgebildet, von
feinen gewinnenden Formen. Er vermied über Stuttgart
zu reisen, weil er der pedantischen Schwerfälligkeit der württembergischen
Schreiber mißtraute, sprach aber unterwegs
in Dresden ein, verständigte sich mit den sächsischen Finanzmännern
und erschien am 6. Februar in der preußischen
Hauptstadt. Eichhorn und Maaßen kamen ihm herzlich entgegen;
es bewährte sich wieder … »Preußens seltenes Talent,
fremde Staatsmänner in Berlin zu gewinnen«. Noch boten
sich der Bedenken viele; allein da Preußen auf seinen erprobten
Tarif, seine festbegründete Zollverwaltung verweisen konnte,
so blieb nur übrig, die im Norden bestehende Ordnung mit
einigen Änderungen anzunehmen. Preußen verzichtete auf
jedes Präcipuum … Die Einnahmen wurden nach der Kopfzahl
verteilt; nur für die Schiffahrtsabgaben auf der Oder
und Weichsel, die ja gar nicht zur Zollgemeinschaft gehörten,
Am 4. März wurden die hessischen Bevollmächtigten zur
ersten Plenarversammlung gerufen, am 22. kam der Vertrag
zustande: die verbündeten Staaten, »in fortgesetzter Fürsorge
für die Beförderung der Freiheit des Handels zwischen ihren
Staaten und hierdurch zugleich in Deutschland überhaupt«,
bilden einen »Gesamtverein«, der am 1. Januar 1834 für
acht Jahre ins Leben tritt. Das Grundgesetz entsprach im
wesentlichen den hessischen Verträgen, nur daß die Selbständigkeit
der Bundesgenossen erheblich verstärkt wurde. Für jede
Änderung der Zollgesetze wurde Einstimmigkeit der Verbündeten
gefordert. Das schlimmste Gebrechen des Vereins lag
weniger in seinen Satzungen als in der Verschiebung der
Machtverhältnisse. Durch den Zutritt mehrerer größerer
Staaten mit gleichem Stimmrecht wurde die freie Tätigkeit
der preußifchen Handelspolitik unvermeidlich erschwert. Die
neuen Rechte dagegen, die man den Zutretenden einräumte,
schienen bedenklicher als sie waren … Die Befugnis, Handelsverträge
zu schließen, dies von Bayern mit so leidenschaftlichem
Eifer erstrebte Kleinod, erwies sich als ein harmloses
Spielzeug … Preußen allein galt im Auslande als Haupt und
Vertreter des Zollvereins; daher sind alle irgend wichtigen
Handelsverträge durch Preußen im Namen des Vereins abgeschlossen
worden. Auch die Kontrolle ward ermäßigt, auf
Bayerns Andringen. Die Verbündeten sendeten bloß Vereinsbevollmächtigte
zu den Zolldirektionen, Kontrolleure zu den
Hauptzollämtern der Genossen; eine gegenseitige Visitation
des Grenzdienstes fand nicht mehr statt. Solche Formen verschlugen
wenig; denn im Grunde war der Verein auch bisher
nur durch wechselseitiges Vertrauen und die Macht der Interessen
zusammengehalten worden. Die Bundesgenossen gelobten
Da Bayern und Württemberg noch immer ihre törichte Sorge vor finanziellen Verlusten nicht aufgaben, so wurde in einem geheimen Artikel den Verbündeten das Recht vorbehalten, den Verein vor der Zeit zu kündigen, falls ihre Zolleinnahmen einen Ausfall von 10 Proz. des bisherigen Rohertrags aufwiesen. Maaßen unterschrieb getrosten Mutes; er wußte, daß der Vertrag ein Löwenvertrag war zugunsten des Südens, und der Erfolg sollte seine Erwartungen noch weit übertreffen. In den Jahren von 1834 bis 1845 hat der Norden an Bayern 22,29 Millionen Taler, an Württemberg 10,3 Millionen herausgezahlt, in dem Zeitraum von 1854–1865 empfing Bayern vom Norden 34 Millionen. Während der zwei ersten Jahrzehnte des Zollvereins haben bei der Abrechnung regelmäßig nur Preußen, Sachsen, Frankfurt und Braunschweig herausgezahlt; alle anderen Staaten gewannen. Allerdings geben jene großen Zahlen kein ganz zutreffendes Bild, da ein Teil der für das Binnenland bestimmten Einfuhr in den Häfen und Speditionsplätzen des Nordens verzollt wurde. Deutlicher erhellt der unverhältnismäßige Gewinn des Südens aus der Tatsache, daß die Verwaltungskosten in Bayern schon während des ersten Jahres von 44 auf 16, später auf nahezu 10 Proz. sanken, Bayerns Anteil an dem Kaffeezoll sofort auf das Dreifache, bis zum Jahre 1845 auf das Fünffache stieg.
Um auch den leisesten Anschein preußischer Hegemonie
zu vermeiden, wurde verabredet, daß die alljährlichen Konferenzen
der Zollvereinsbevollmächtigten nicht mehr, wie im
preußisch-hessischen Verein, regelmäßig zu Berlin sich versammeln
sollten; sie wanderten fortan, nach dem Belieben
der Verbündeten, von Ort zu Ort, der erste Zusammentritt
fand in München statt. Streitigkeiten wollte man der
Entscheidung eines Schiedsrichters unterwerfen, der durch
einstimmigen Beschluß für jeden einzelnen Fall zu ernennen
war. Doch ist ein solcher Schiedsspruch niemals angerufen
worden — nicht weil die Eintracht ungetrübt bestanden hätte,
sondern weil der Dünkel der Kleinstaaten den freiwilligen
Ausgleich der schimpflichen Unterwerfung unter eine fremde
Gewalt regelmäßig vorzog. Daß Bayern seine Biersteuer
liberum veto [Einspruchsrecht]
und das Kündigungsrecht für Preußen ebenso unentbehrlich
wie für die Kleinstaaten, als ein letztes verzweifeltes Mittel,
um dem schwerfälligen Körper einen Entschluß zu entreißen.
Nur die Hoffnung auf einen hohen politischen Gewinn konnte
den preußischen Hof zu so schweren Opfern, zu einer so weitgehenden
Nachsicht für die Grillen und Eitelkeiten der Mittelstaaten
bestimmen. Mit überlegener Geduld erwartete
Eichhorn, daß aus den fast lächerlichen Formen dieses lockeren
Vereins doch eine unlösbare Gemeinschaft der Interessen
emporwachsen müsse.
Mieg kehrte heim in der festen Erwartung, daß der so
überaus vorteilhafte Vertrag ihm die Verzeihung für sein
eigenmächtiges Vorgehen verbürge. Er täuschte sich schwer.
König Ludwig konnte selbständigen Willen nicht ertragen,
empfing den Freund mit bitteren Vorwürfen; daß die preußische
Zollordnung sofort provisorisch eingeführt werden
sollte, schien ihm eine Entwürdigung der bayrischen Krone.
Der Minister wollte, tief verletzt, sein gegebenes Wort nicht
zurücknehmen; er forderte und erhielt seine Entlassung …
Nunmehr nahm der König die Akten an sich, und lange blieb
das Schicksal des Vertrages zweifelhaft. Miegs Nachfolger,
Lerchenfeld, erkannte zwar, nachdem er die Papiere eingesehen,
die Notwendigkeit des Abschlusses, doch rückte er nicht
recht mit der Sprache heraus. Fürst Öttingen-Wallerstein
Kaum war die Krone Bayern gewonnen, so begann der
Kampf mit dem württembergischen Landtage. Die schwäbischen
und badischen Liberalen hatten sich zu Anfang des Jahres
in Pforzheim versammelt und dort beschlossen, dem vordringenden
preußischen Absolutismus mannhaft zu widerstehen.
Die Schutzzöllner beweinten den nahen Untergang der schwäbischen
Industrie; die Partikularsten bewiesen, daß Württembergs
Absatzwege nach Frankfurt und der Schweiz, nicht nach
dem Norden führten; manche pessimistische Radikale gönnten
dem verhaßten Ministerium nicht ein Verdienst, das der
Regierung allein gebührte, sie wünschten noch weniger, daß
ein wichtiger Grund der allgemeinen Unzufriedenheit beseitigt
werde. Die gemütlichen Leute wollten die geforderten
Opfer nur einem gesamtdeutschen Verein bringen. Selbst
den gemäßigten Liberalen schien es hochbedenklich, einer
absoluten Krone mittelbare Einwirkung auf den württembergischen
Haushalt zu gestatten. Zudem wurden die Kammern
nur zu einer Erklärung über den Vertrag, nicht zu förmlicher
Genehmigung aufgefordert. Der Landtag empfand bitter
seine Ohnmacht. König Wilhelm setzte seinen Stolz darein,
das Werk hinauszuführen; kein Zweifel, er hätte auch ohne
die Zustimmung der getreuen Stände den Vertrag vollzogen
und also den leeren Schein der schwäbischen Verfassungsherrlichkeit
vor aller Welt erwiesen. Darum wollte selbst
Paul Pfizer, der Bewunderer Preußens, sich nicht zur Genehmigung
entschließen; wenn er zustimmte, so verlor er
jedes Ansehen unter den Parteigenossen, jede politische Wirksamkeit
in seiner Heimat. In solchen tragischen Widerspruch
war der süddeutsche Liberalismus geraten. Endlich, im November,
genehmigte der Landtag den Vertrag nach harten
Kämpfen. Nur einzelne waren überzeugt …, die Mehrzahl
gab ihr Ja nur aus gedankenlosem Gehorsam; alle Führer
Neue unerquickliche Händel folgten, da nun das preußische Zollwesen durch eine gemeinsame Vollziehungskommission im Süden eingeführt wurde. Wie oft mußte der preußische Kommissär L. Kühne von den gemütlichen bayrischen Beamten bittere Klagen hören über diese verwünschte Berliner Strammheit; er bestand darauf, daß in den Grenzbezirken, wo offenkundiger Schmuggel blühte, drei Monate lang eine strenge Binnenkontrolle gründlich aufräumte. Die unfreie soziale Gesetzgebung der Mittelstaaten fand so leicht nicht den Übergang zur preußischen Freiheit … Doch der wesentliche Inhalt des Vertrags wurde redlich ausgeführt. Seit in München ein neuer Zolldirektor, der verdiente Knorr, ernannt war, arbeitete die Zollverwaltung fest und pünktlich. Jeder neue Tag der Erfahrung warb dem Zollverein neue Anhänger im Süden; die besseren Köpfe des Liberalismus gestanden beschämt ihren Irrtum …
Gleichzeitig mit Bayern und Württemberg unterhandelte
Sachsen in Berlin. Es geschah, wie Motz vorhergesehen:
keine der Zollvereinsverhandlungen hat den preußischen
Staatsmännern schwerere Überwindung gekostet. Gewiß
trat mit Sachsens Beitritt nur die Natur der Dinge in ihr Recht.
Das Erzgebirge erhielt wieder ungehemmten Verkehr mit
seiner alten Kornkammer, den Muldenniederungen in der
Provinz Sachsen, Leipzig wieder freie Verfügung über seine
wichtigsten Handelsstraßen; Macht und Bedeutung des Zollvereins
stiegen erheblich, sobald eines der ersten Fabrikländer
und der größte Meßplatz Europas hinzutrat. Gleichwohl
war der unmittelbare Vorteil fast ausschließlich auf Sachsens
Seite; in Preußen erhoben sich ernste staatswirtschaftliche und
An der sächsisch-böhmischen Grenze hatte sich ein ungeheurer
Schmuggel festgenistet; das Volk nahm den elenden
Zustand hin wie eine Notwendigkeit, ja wie einen Segen.
Selbst Lindenau wagte nach dem Abschluß des Zollvereins
im Gespräch mit Blittersdorff nur die schüchtern zweifelnde
Bemerkung: daß der Schmuggel im Erzgebirge jetzt aufhören
wird, »ist wohl schwerlich ein Unglück«. Die hochherzige Gesinnung
des neuen Mitregenten, des Prinzen Friedrich August,
wurde in Berlin ebenso bereitwillig anerkannt, wie die Einsicht
der trefflichen Männer, die er in sein Kabinett berufen.
Doch ein volles Jahr verfloß, bis die Ordnung in dem aufgeregten
Ländchen sich wieder befestigte; Maaßen fragte
besorgt, ob eine Regierung, die den schwächlichen Aufläufen
in Leipzig und Dresden so wenig nachhaltigen Widerstand
entgegengestellt, auch den festen Mut besitzen werde, die
Schmuggelnester im Gebirge auszuheben. Und lehrte denn
nicht der Gang der Verhandlungen, daß die neue Regierung
das alte kleinliche Mißtrauen gegen Preußen nicht gänzlich
über Bord geworfen hatte? Man kam in Berlin nicht los von
dem Argwohn, Sachsen würde einen Zollverein mit Österreich
vorziehen, wenn nur die Hofburg mehr böte als leere
Redensarten. Wenn König Friedrich Wilhelm keinen deutschen
Staat locken und einladen wollte, so doch am allerwenigsten
diesen sächsischen Hof, der als Stifter des Mitteldeutschen
Bis zum Sturze des alten Systems erging sich die sächsische Regierung in Umwegen und Künsteleien, nach der alten Gewohnheit der Mittelstaaten. Sie fragte in Stuttgart und München an, ob Sachsen nicht dem Süddeutschen Verein beitreten könne. Ihr Berliner Geschäftsträger Könneritz richtete an Ancillon die Bitte: Preußen möge sofort seinen Tarif zu Sachsens Gunsten herabsetzen, da die Verhandlungen über den unmittelbaren Anschluß vorderhand noch ausgesetzt werden müßten. Maaßen aber antwortete (15. September 1830): »ohne vorhergegangene Vereinigung zu einem gegenseitig erleichterten Handelsverkehr« können wir bei der Ordnung unseres Tarifs auf dritte Staaten keine Rücksicht nehmen.
Erst das Ministerium Lindenau fand den Mut einzugestehen,
was sich mit Händen greifen ließ: daß Sachsens
Gewerbefleiß ohne Preußens Freundschaft untergehen mußte;
nahm doch die gesamte überseeische Ausfuhr des Landes
ihren Weg durch Preußen, desgleichen fast die gesamte Einfuhr
der rohen Baumwolle. Leider war nur ein Teil der
Fabrikanten im Gebirge dem Anschluß günstig, das Landvolk
und vornehmlich Leipzig wehklagten über das hereinbrechende
Verderben. Also hat selbst der allzeit patriotische und einsichtige
Handelsstand der wackeren Pleißestadt, ganz wie
späterhin die Kaufmannschaft von Frankfurt, Bremen,
Hamburg, die unliebsame Wahrheit erhärtet, daß der Interessent
fast niemals sachverständig ist. Auch der große Kaufherr
wird zum Krämer, sein Gesichtskreis verengt sich, sobald
er seinen unmittelbaren Vorteil bedroht wähnt; stolz auf seine
persönliche Kraft und Freiheit, empfindet er es als eine Anmaßung,
eine Beleidigung, wenn die Männer des grünen
Tisches ihm zumuten, seine altgewohnten Geschäftsformen
zu ändern, und will nicht zugestehen, daß über große handelspolitische
Fragen nicht die privatwirtschaftliche Anschauung
des Kaufmanns, sondern das staatswirtschaftliche Urteil des
Staatsmannes zu entscheiden hat. Trotz alledem entschloß
Im März 1831 kam der sächsische Finanzminister v. Zeschau
Da die Verhandlungen sich so ungünstig anließen, so
wünschte der sächsische Hof, geängstigt durch die fortdauernde
Gärung im Lande, mindestens einige Handelserleichterungen
sofort zu erlangen, falls die vollständige Vereinigung nicht
möglich sei. Der Prinz-Mitregent selber stellte diese Bitte
in einem Handschreiben an den König von Preußen (11. April
1831). Er gab zu bedenken, daß mit dem gänzlichen Mißlingen
dieser Verhandlungen »die Ausführung des großen
und für die Sicherheit und Ruhe Deutschlands begründeten,
von Ew. K. Majestät verfolgten Planes, die Interessen des
Handels und Verkehrs in verschiedenen deutschen Staaten zu
vereinigen und dadurch zugleich das politische Band zu befestigen,
gefährdet werden oder mindestens Aufschub erleiden
würde. Auch mag ich mir selbst nicht verschweigen, daß eine
erfolglose Verhandlung in der gegenwärtigen Zeit auch hier
nicht ohne einen sehr ungünstigen Eindruck bleiben würde«.
Ein solcher Mittelweg schien aber den besten Köpfen der
preußischen Regierung kleinlich und nutzlos. Eichhorn bewies
in einem ausführlichen Gutachten: sofortige Handelserleichterungen
würden, nach der Lage der Dinge, nur dem preußischen
Staate einseitige Opfer auferlegen; wolle Sachsen
dagegen zu Preußen in ein ähnliches Verhältnis treten,
wie bisher Bayern und Württemberg, so sei dazu eine vollständige
Erst als Bayern und Württemberg ihre Zollvereinsverhandlungen in Berlin eröffneten, faßte man sich in Dresden wieder ein Herz. Im März 1832 erschien Zeschau zum zweitenmal in Berlin. Abermals kam man einen Schritt weit vorwärts; Sachsen erklärte sich bereit, das preußische System der indirekten Steuern anzunehmen. Doch über die Messen konnte man sich wieder nicht verständigen. Nun wirkte auch die Staatsweisheit Moritz Mohls lähmend auf Sachsen zurück; ohne die süddeutschen Höfe, die jetzt ihre Verhandlungen abbrachen, wollte das Dresdner Kabinett, wie begreiflich, nicht beitreten. Im Mai wurde die letzte Beratung gehalten; der Sommer verlief in peinlicher Verlegenheit …
Inzwischen beging der sächsische Hof einen schweren politischen
Fehler, der den schlimmsten Verdacht zu rechtfertigen
schien. Hannover hatte am Bundestage wieder einmal die
Ausführung des Artikels 19 beantragt — in der unverhohlenen
Absicht, den Gang der preußischen Handelspolitik zu stören.
Ohne jede Rücksprache mit Preußen, ohne auch nur den Bericht
der Bundestagskommission abzuwarten, stimmte Sachsen
als die erste deutsche Regierung dem törichten Antrage zu
und erklärte: Höchster Zweck des Bundes in Zollsachen ist,
dasjenige durch gemeinschaftliche Gesetze zu erreichen, was
durch Einzelverhandlungen nur schwer zu erreichen ist; sollen
in Deutschland überhaupt Durchfuhrzölle bestehen, so doch
jedenfalls ein anderes System als das preußische! —
Die Finanzpartei in Berlin klagte laut über die offenbare
Zweizüngigkeit. Geh. Rat Michaelis fragte in einer scharfen
Denkschrift: soll diese Sprache des sächsischen Bundestagsgesandten
etwa die öffentliche Meinung in Sachsen für den
preußischen Zollverein gewinnen? — Wen konnten auch die
nichtigen Entschuldigungen überzeugen, die der sächsische
Minister Minckwitz seinem Berliner Gesandten Watzdorf
Und so geschah es. Im Januar 1833 besprach sich Mieg in Dresden mit Zeschau, und als darauf die Berliner Verhandlungen mit Bayern so glücklich vorangingen, kam der sächsische Finanzminister (24. März) zum drittenmal in die preußische Hauptstadt. Nach kaum acht Tagen (30. März 1833) schlossen Eichhorn, Maaßen, Zeschau und Watzdorf den Zollvereinsvertrag, der wörtlich mit dem soeben beendigten bayrischen übereinstimmte. Einige Separatartikel ordneten den Zustand der Messen. Der Frankfurter Zollrabatt blieb etwas ermäßigt bestehen, doch durfte Sachsen seinem Leipzig ähnliche Vergünstigungen zuwenden. Der Meßhandel erhielt eine große Erleichterung durch die Einrichtung der Meßkontierung; für Leipziger Großhandlungen von gutem Rufe wurde sogar ein über die Meßzeiten hinaus fortdauerndes Steuerkonto zum Abschreiben eröffnet — eine wichtige Vergünstigung, die noch manchen Mißbrauch veranlassen sollte. Auch die Herabsetzung einiger Zollsätze, namentlich für Woll- und Baumwollwaren, wurde vereinbart. Preußen verpflichtete sich, die Ermäßigung der Elbschiffahrtsabgaben, welche Anhalt dem preußischen Elbhandel zugestanden hatte, auch dem sächsischen Verkehre zuzuwenden; der gute Vorsatz scheiterte freilich an Anhalts Kleinsinn.
Nicht ohne Zagen unterschrieb Maaßen den Vertrag,
der den preußischen Markt den Fabriken des Erzgebirges eröffnete;
von allen seinen Räten stimmte ihm nur Kühne unbedingt zu.
»Das ist ein schwerer Vertrag — sagte er zu Kühne …
—, es hätte ihn nicht jeder unterzeichnet.« Die Besorgnis des
Staatswirts hatte zurücktreten müssen vor den Hoffnungen
der Politiker. Sachsen stand gerade in den Flitterwochen
seines konstitutionellen Lebens; der Eintritt dieses Staates
mußte die öffentliche Meinung günstig stimmen. Leider
Während diese verwickelte zweifache Verhandlung in
wiederholten Ansätzen erledigt wurde, hatte Eichhorns unverwüstliche
Geduld zugleich ein drittes schwieriges Geschäft
zu führen: die Unterhandlungen mit den thüringischen
Staaten. In Thüringen wie in Sachsen und Kurhessen wurde
die beginnende Bekehrung gefördert durch den unruhigen
Sommer von 1830, durch die Angst vor den murrenden Massen.
Hier wie in Sachsen hoffte man anfangs, sogleich einseitige
Handelserleichterungen von Preußen zu erlangen. Der weimarische
Minister Gersdorff kam im Januar 1831 zugleich
mit Lindenau nach Berlin, überbrachte ein Handschreiben seines
Großherzogs, das um solche Vergünstigung bat: »dies würde
in einer Periode mannigfacher Aufregungen Übelgesinnten
einen Vorwand zu schlechten Einwirkungen entnehmen.«
Auf wiederholte ähnliche Anfragen kleiner thüringischer Höfe
General Lestocq, der vielgeplagte Gesandte, den die thüringischen
und einige andere kleine Dynasten in Berlin auf
gemeinsame Kosten ernährten, überreichte am 15. Januar 1832
eine Verbalnote: Preußen möge die Initiative ergreifen,
ältere bindende Verpflichtungen beständen nicht mehr.
Weimar drängte am eifrigsten; das Großherzogtum besaß
an Gersdorff und O. Thon zwei treffliche Verwaltungsbeamte,
die wohl einsahen, wo der Grund der ewigen Finanznot lag.
Spröder verhielt sich Gotha, da hier der hergebrachte Schmuggel
allgemein als ein Nationalglück betrachtet wurde. Maaßen
und Eichhorn entwickelten nun ausführlicher den einfachen
Gedanken, den sie so oft schon ausgesprochen hatten: die verzettelten
thüringischen Gebiete sollen zunächst unter sich einen
Verein mit gemeinsamer Zollverwaltung bilden und dann erst
als eine geschlossene Einheit in den großen Zollverein treten;
Preußen will die Kreise Erfurt, Suhl und Ziegenrück diesem
thüringischen Vereine zuteilen, wird auch dafür sorgen, daß
Kurhessen sein Schmalkaldener Land hinzugefügt. Zu förmlichen
Verhandlungen kam es auch jetzt noch nicht; denn
Eichhorn hoffte, vorher mit Bayern und Württemberg abzuschließen.
Diese beiden Höfe fühlten sich schon beunruhigt
durch die Anfragen der Ernestiner; sie meinten: schließe
Thüringen früher ab, so sei der Süden auf Gnade und
Ungnade dem Belieben Preußens überliefert. Darum richteten
sie sogar eine Verwahrung an den Berliner Hof (15. November
1832): ohne die vorhergehende Zustimmung Bayerns
und Württembergs dürfe Preußen die Thüringer nicht aufnehmen.
Der Dresdener Hof, der sich noch immer als das
geborene Oberhaupt der Ernestiner fühlte, verlangte zu allen
Verhandlungen mit seinen Stammesvettern zugezogen zu
werden. Preußen erwiderte: wir werden Sachsens Interessen
sorgsam wahren, doch der Zutritt eines sächsischen Bevollmächtigten
kann die Verhandlungen nur erschweren. Immerhin
Erst im Dezember 1832 begannen die Konferenzen mit den Thüringern. Die preußischen Staatsmänner schlugen vor, eine Zentralbehörde für das thüringische Zollwesen zu bilden. Große Bestürzung; keiner der Kleinen wollte eine solche Beschränkung seiner Souveränität zugeben. Da meinten die Preußen begütigend: es werde genügen, einen Generalinspektor einzusetzen; der müsse freilich in Erfurt wohnen, als dem Mittelpunkte des Landes, doch solle er nicht von Preußen, sondern von der thüringischen Hauptmacht Weimar ernannt werden. Hiermit schien jeder Widerspruch entwaffnet. Wenn Preußen sein Zollwesen einem weimarischen Beamten unterstellte, so durfte auch der Reußenstolz und der Gothaerdünkel nicht klagen. Gleichwohl erhoben Altenburg und Meiningen neue Bedenken; sie konnten sich nicht in den Gedanken finden, daß ihre Verwaltung fremder Aufsicht unterliegen solle. Schon war man nahe daran, ohne Meiningen abzuschließen. Da drohte Kühne: wenn man die preußischen Beamten als Spione betrachte, dann müsse Preußen sein gefürchtetes Enklavensystem gegen die kleinen Nachbarn anwenden. Das schlug durch. Am 10. Mai 1833 wurde der »Zoll- und Handelsverein der thüringischen Staaten« gebildet, am folgenden Tage erklärte der neue Verein, der das gesamte System der preußischen indirekten Steuern annahm, seinen Zutritt zu dem Deutschen Zollvereine. Ein weimarischer Generalbevollmächtigter vertrat die Thüringer auf den Konferenzen des Zollvereins, gab in Tarifsachen nur eine Gesamtstimme ab; in einigen anderen Fällen sollte er die Meinung jedes einzelnen thüringischen Staates gesondert vortragen. Dieser Bund im Bunde, welchen Preußens Staatsmänner seit dem Jahre 1819 erstrebt hatten, erwies sich als so einfach und naturgemäß, daß niemals, auch nicht in den schwersten Krisen des Zollvereins, an die Auflösung des thüringischen Vereins gedacht worden ist. —
Also war des großen Werkes schwerster Teil gelungen.
Ein unerhörter Ordenssegen belohnte die treue Arbeit des
Beamtentums; die Jahrgänge der deutschen Gesetzsammlungen
schwollen zu unförmlichen Bänden an, von allen den neuen
Verträgen und Gesetzen. Dann kam jene folgenschwere
Der erweiterte Handelsbund nahm jetzt den Namen des
Deutschen Zollvereins an.Steuerverein,
dem auch einige preußische und kurhessische Gebietsteile
angeschlossen wurden; Baden, Nassau und Hessen-Homburg traten
am 1. Januar 1836, Frankfurt a. M. am 2. Januar 1836 in den
Zollverein ein; am 1. Januar 1842 auch Braunschweig und Lippe,
am 1. April 1842 Luxemburg. Durch Vertrag vom 1. September 1851
kam auch mit dem Steuerverein eine Einigung zustande, die am
1. Januar 1854 den Eintritt desselben in den Zollverein zur
Folge hatte.
Die politischen Wirkungen des Zollvereins sind dank
der unvergleichlichen Schwerfälligkeit des deutschen Staatslebens
nicht so rasch und nicht so unmittelbar eingetreten,
als manche kühne Köpfe meinten. Schon zu Anfang der
dreißiger Jahre hoffte Hansemann
Das Bewußtsein, daß man zueinander gehöre, daß man
sich nicht mehr trennen könne von dem großen Vaterlande,
war durch die kleinen Erfahrungen jedes Tages in alle Lebensgewohnheiten
der Nation eingedrungen, und in dieser mittelbaren
politischen Wirkung liegt der historische Sinn des Zollvereins
… es ging doch zu Ende mit dem Philistertum der
alten Zeit, das an die Herrlichkeit der Kleinstaaten kindlich
glaubte. Der Geschäftsmann folgte mit seinen Gedanken
den Warenballen, die er frei durch die deutschen Länder
sandte, er gewöhnte sich, wie schon längst der Gelehrte, über
Quelle: H. v. Treitschke, Deutsche Geschichte usw. IV, 350ff.